Archiv | Februar, 2012

Filmkritik: Die Rache der Wanderhure

29 Feb

2012 – Eigentlich ist sie ja gar keine Wanderhure mehr, sondern längst in den Stand der respektablen, verheirateten Kastellanin aufgestiegen. Doch die Vergangenheit holt die schöne Marie schnell wieder ein, denn der taffen jungen Mutti ist während des Kriegs der Ehemann abhanden gekommen, und während der langwierigen Suche nach dem von der Allgemeinheit für tot gehaltenen Gatten trifft Marie auch ihren Erzfeind Ruppertus wieder, den sie einst auf den Scheiterhaufen gebracht hat.

Soweit, so gut. Oder eben auch nicht. Denn was ein mitreißendes Sittengemälde des Spätmittelalters hätte werden können, funktioniert nur bedingt im langatmig inszenierten Film mit Alexandra Neldel in der Titelrolle. Zugegeben: Die Schauspielerin macht eine gute Figur, doch warum in Dreiteufelsnamen wurden ihr Klamotten verpasst, die zwar auf jeder Kostümparty für positives Aufsehen sorgen würden, in einem Film, der ernst genommen werden will, jedoch höchst fehlplatziert wirken? Wenn sie sich gegen Ende des Streifens auf den Gaul schwingt, fällt der Stoff an den Knien auseinander und entblößt ein nacktes Bein, das auch Oscar-Tantchen Angelina Jolie – neuer Spitzname: „naked knee“ – neidisch machen würde. Also sowas! Da wäre die gute Marie in der guten alten Zeit doch glatt wegen Unsittlichkeit verhaftet worden! Überhaupt hat man streckenweise das Gefühl, dass die Protagonistin den halben Film hindurch entweder zu Pferde durch eine saftige mitteleuropäische Wald- und Wiesenlandschaft reitet oder von irgendeinem Schurken oder sogar einer Frau sexuell bedrängt wird. Einmal Hure – immer Hure, so hat’s im Film den Anschein, auch wenn es Marie diesesmal gelingt, ihre Ehre wehrhaft zu verteidigen. Ach ja, kämpfen kann sie auch, und das noch besser als die meisten Männer. Anders kann man es sich nicht erklären, dass die Lady es fast problemlos schafft, sich hinter die feindlichen Linien durchzuschlagen, um ihren Michel zu finden.

Ihr männlicher Gegenpart, ihr Gemahl Michel, sorgt indes dafür, dass die Damenwelt nicht zu kurz kommt. Schon ein Schnuckelchen, der Junge, der vor seiner Laufbahn als Schlossverwalter im Fitness-Studio daheim gewesen zu sein scheint. Er strotzt nur so vor Muckis und Testosteron und weiß auch beides einzusetzen. Während Marie aufopferungsvoll durch Europa irrt, ist Michel verwirrt: Nach einem bedauerlichen Kopfschuss aus einem frühzeitlichen Schussapparat wacht er mit Gedächtnisverlust auf und darf sich erstmal vom mongolischen Gastkrieger die richtige Kampfsporttechnik beibringen lassen. Das gefällt dessen Lehnsherrn und auch der dazu gehörenden blutjungen Tochter, die natürlich bildhübsch, gescheit und scharf auf Michel ist. Glücklicherweise trifft Marie just in dem Moment ein, als Michel kurz vor der Entjungferung der holden Maid steht, und verhindert den nicht wissentlich begangenen Ehebruch. Nebenbei rettet sie dann sogar noch den mittelalterlichen Weltfrieden.

Michel kehrt mit Marie in die heimatlichen Gefilde zurück, darf noch kurz den kämpfenden Heroen geben und feststellen, dass er amnesiebedingt seinen besten Freund abgemurkst hat, bevor sich alles zum Guten wendet und das Historienspektakel karamellbonbonsüß auf einer sommerlichen Wiese mit der Vereinigung von Mama, Papa und Kind endet. Ein bisschen viel für einen Fernsehabend unter der Woche. Uff.

Unser Veranstaltungs-Tipp für diese Woche in München

28 Feb

Akustik Salon am Freitag, 02.03.2012  im Bachbett München

Mit der deutschen Rockband ACHT und ihrem Frontmann Gil Ofarim,
mit der Kapelle Weyerer sowie als Support: Do I smell Cupcakes?

Einlass: ab 19.00 / Beginn: 20.00 Uhr
Eintritt: Euro 15,–
Ort/Veranstalter: Bachbett München, Holzstraße 28, 80468 München
Anfragen/Reservierungen/Weitere Informationen: 089 – 6 97 97 131

Näheres zur Veranstaltung und den Bands

Hurghada: Wie ein Fisch im Aquarium

28 Feb

2012 – Unsere Ankündigung, in den Herbstferien nach Ägypten reisen zu wollen – genauer gesagt, nach Hurghada – hat im Bekanntenkreis sehr unterschiedliche Reaktionen ausgelöst. Ein Teil erhob die Stimme in sehr mahnendem Tonfall: „Ihr werdet Durchfall bekommen, abgezockt werden und nicht aus der Hotelanlage rauskönnen, weil überall Sicherheitspersonal mit MGs rumsteht. Außerdem sind alle Riffe um Hurghada herum kaputt, da seht Ihr so gut wie nix!“ Letztere Aussage bezog sich auf unseren Wunsch, als Tauchneulinge mal etwas anderes als Karpfen und Hechte im Baggersee zu sehen. Der andere Teil unserer Freunde hingegen sagte: „Hurghada? Super! Glasklares Wasser, Sonnengarantie – wird Euch gefallen!“

Kein Wunder, dass uns gemischte Gefühle auf dem Flug ins nördliche Afrika begleiteten. Während die Sonne am Horizont verschwand, bekamen wir einen Eindruck von der Weite der arabischen Wüste 10.000 Meter unter uns. Heiß. Sonnig. Trocken.

Wer zum ersten Mal nach Ägypten reist, hat zumeist einige Vorbehalte über dieses Land im Gepäck: Heiß ist es da, und die Menschen helfen nur gegen „Bakshish“, das obligatorische Trinkgeld. Alles geht langsamer voran als in Europa, die Hotelzimmer sind nicht so sauber, neben Sonne satt gibt es Durchfallerkrankungen mitgeliefert. Der Flughafen, waren wir gewarnt worden, stehe unter strengsten Sicherheitskontrollen, wäre alt und völlig unzureichend. Abfertigung wäre chaotisch und würde ewig dauern. Pustekuchen. Hurghada Airport wurde in den vergangenen Jahren einer Schönheitskur unterzogen, die Abfertigung erfolgt um einiges schneller als z. B. auf dem Airport London Stansted, und schon nach 20 Minuten stehen wir mit unseren Koffern am Ausgang, wo uns die Reiseleitung in Empfang nimmt.

Freundliche Hände helfen uns, das Gepäck in den Bauch des modernen Busses zu laden. Natürlich gegen Bares – Scheine werden bevorzugt! Der erste 5-Euro-Schein geht dahin und beschert vermutlich einer ägyptischen Familie ein opulentes Abendessen. Die Fahrt zum Hotel im Dämmerlicht wirkt bizarr: Der Stadtteil Sekalla mit der neuen Marina könnte auch in Dubai liegen. Neu geflieste, breite Flaniermeilen, prächtige Hotels, ein neu erbautes Hospital, Palmen… alles vom Feinsten. Nur wenige Kilometer außerhalb wandelt sich das Bild: Die Straßen werden schlechter, die Gehwege schmäler, die Häuser schäbiger. Appartmenthäuser, fast im Rohbauzustand, säumen unseren Weg; auf Betonbalkonen sitzen junge Männer in der lauen Nacht und rauchen Shisha, Wasserpfeife. Zur Rechten tauchen wiederum Hotels in der Dunkelheit auf, dann eine moderne Ladenzeile – und unser Hotel, das „Arabia Azur“. Die Großzügigkeit ägyptischer Touristenunterkünfte beeindruckt. Eine Empfangshalle tut sich vor uns auf mit zahlreichen Sitzmöglichkeiten, einer offenen Galerie und breiten Treppen. Ankunft in 1001 Nacht – nur ohne Scheherezade. Hintern Empfang erwarten uns ernst dreinschauende Männer im Anzug. Das Zimmer, verborgen hinter zahlreichen verwinkelten Gängen, vorbei am Pool, ist ein Traum. Alt, ja, und an ein paar abgeplatzten Fliesen darf man sich nicht stören, jedoch: Wir sind in Afrika, hier gelten andere Maßstäbe. Dafür besticht die Großzügigkeit des Raums, die Farben, der Ausblick von der kleinen Terrasse direkt auf die künstlich angelegte Sandlagune. Hier ist die Klimaanlage kein Luxus, sondern für sonnenentwöhnte Mitteleuropäer fast schon ein notwendiges „must have“.

Das „Arabia Azur“ mag in die Jahre gekommen sein, doch es punktet vor allem mit einem: dem direkten Zugang zum hauseigenen Korallenriff, das über einen langen Damm bequem erreicht werden kann. Über eine Leiter klettert man ins Wasser – Ende Oktober hat dieses noch mollige 27 Grad –, und wer sich mit Taucherbrille, Schnorchel und Flossen bestückt hineinplumpsen lässt, wird direkt in ein gigantisches Aquarium geworfen. Unter den Füßen befinden sich rund zehn Meter klarsten Meerwassers, das den Blick auf den sanft abfallenden Sandboden zulässt; bunte Fische kreuzen den Weg des neugierigen Schnorchlers, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. Mit etwas Glück entdeckt der Unterwassertourist eine Muräne, die sich träge aus den Felsen hängen lässt, oder der kleine Blaupunktrochen flitzt vor einem her durch die zwar leider schon zum Teil zerstörte, aber immer noch faszinierend bunte Korallenwelt. Wer die Magie dieses Unterwasserreiches einmal erlebt hat, ist ihr verfallen.

Wer mehr sehen will, kann mit den Tauchbooten der hauseigenen Dive-Base aufs Meer hinaus fahren. Ob im sanften Drift bei den Giftun-Inseln, an einem der zahlreichen Wracks im Roten Meer oder an einem der zahlreichen Riffe vor der Küste Hurghadas – Steinfische, Rochen und Muränen sind alltägliche Gäste und lassen sich mit stoischer Gelassenheit bestaunen. Der Großfisch allerdings hat die Gegend verlassen – zu viel Trubel für den scheuen Hai. Dafür lassen sich gelegentlich Delphine blicken und schwingen ihre Leiber aus den Fluten.

Wer genug vom salzigen Meer hat, kann den Nachmittag im Schatten eines Liegestuhls am Pool verbringen. Hier ist meist wenig los, denn die Konkurrenz des riesigen Naturaquariums ist doch zu groß. Während einheimische Strandläufer Massageangebote verkaufen wollen und lokale Anbieter Ritte auf dem Banana-Boat anbieten, gibt es im Hotel die Möglichkeit, Ausflüge zu den Pyramiden oder mit dem Quad ins sandige Hinterland zu buchen. Die saftig-grüne und gepflegte Hotelwelt hört auf der anderen Seite der Straße auf; hier beginnt das wahre Ägypten, das abseits des fruchtbaren Nildeltas vor allem ein Gesicht hat: Das der Wüste.

Am Abend beginnt die Stadt zu leben, und im Basar stellen sich die Einheimischen darauf ein, den Touristen allerlei Mitbringsel aufzudrängen, und dies in teilweise in aus westlicher Sicht recht aufdringliche Art und Weise. Handeln ist angesagt. Wer dies nicht tut, wird vom Verkäufer höchstens misstrauisch beäugt, denn das Handeln ist fester Bestandteil der arabischen Kultur. Deshalb erfordert Einkaufen auf die ägyptische Art zumeist ein wenig Vorbereitung. Bevor man sich als Anfänger in den Trubel des großen Basars in Sekalla stürzt, sollte man erst einmal im meist vorhandenen Hotelbasar das Handeln üben. Dabei kann es einem passieren, dass man vom Ladenbesitzer erst einmal Malventee angeboten bekommt – und einen Zug aus der Shisha, der Wasserpfeife obendrauf. Letzteres darf man ablehnen; den Tee anzunehmen ist hingegen ein Gebot der Höflichkeit. Man hat ja Zeit. Was in unseren Breiten als „Erlebniseinkauf“ bezeichnet würde,ist in Ägypten nur Zeichen der arabischen „Entschleunigung“ des Lebens.

An das mystische Ägypten der Pharaonen erinnert in Hurghada nichts; längst arbeiten die Pharaonen wie Nofretete und Tut-Ench-Amun für die Tourismusindustrie, zieren Handtücher, T-Shirts und reihen sich neben Miniaturpyramiden in Holz, Glas und Plastik auf. Das glücksbringende Auge des Horeb gibt es schon für 10 ägyptische Pfund – umgerechnet 1,25 Euro – als Armband. In den Läden spricht man englisch, deutsch und neuerdings auch russisch – viele der Angestellten sind Studenten aus Kairo, die hier eine Zeit lang jobben. Wer den selben Verkäufer aus dem Laden an der Ecke auf einmal ganz woanders wiedersieht, sollte sich nicht wundern: Man kennt sich untereinander, und das Personal geht den Kunden nach, verkauft im Auftrag und auf Kommission.

Lohnende Einkäufe sind vor allem Textilwaren. Ägyptische Baumwolle ist Markenware; in den Geschäften türmen sich Handtücher und Gewänder in aller feinster Qualität. Auch Gewürze sind in Hülle und Fülle vorhanden, und die Shisha aus buntem Glas macht sich gut als Mitbringsel für die Erinnerung an den Urlaub am Roten Meer.

Hotel Arabia Azur, Hurgada

Nützliche Reiseinformationen Ägypten

Reiseinformationen Hurgada

Irland – wo Tragik und Humor sich die Waage halten wie Regen und Sonne

28 Feb

2012 – Irland – das ist Guinness, das sind rothaarige, sommersprossige Menschen mit einem ganz besonderen “sense of humor”, das ist frische Seeluft und saftiges Grün, aber auch eine lebhafte, blutige Geschichte und die immer noch tiefe Verwurzelung im Glauben. So klein die Insel ist, so viele Facetten hat sie auch. Hier stellen wir heute die Beara-Halbinsel im äußersten Südwesten Irlands vor – die Küste war das letzte Land, das die Fahrgäste der legendären “Titanic” sahen, bevor sie zu ihrer verhängnisvollen Reise über den Atlantik aufbrachen.

„My land is too green…“, singt die Irin Mary Coughlan auf ihrem 1987 erschienenen Album „Under the influence“, und grün ist Irland immer noch. Auch wenn sich einiges im Lauf der Zeit geändert hat – manche Dinge bleiben bestehen. Die Kirchen auf dem Land sind sonntags immer noch voll, die schmalen Ortsdurchfahrten zugeparkt mit den Autos der Einheimischen – ohne fahrbaren Untersatz geht nichts hier im Südwesten der Insel. Besteht der Ortskern aus zehn Häusern, liegen in der Umgebung 50 weitere, verstreut wie die Schafe auf den Hängen ringsherum.

„Sunny spells and scattered showers“, ein weiterer Satz aus dem Song, der seine Beständigkeit behält. Wie Tragik und Humor sich im Gespräch mit den Iren die Waage halten, so wechseln sich Regenschauer und Sonnenschein ab. Als das Flugzeug über Irland gleitet, sind helle und dunkle Abschnitte auf dem bunten Flickenteppich aus Viehweiden und Steinmauern im Co. Kerry deutlich auszumachen: Beim einen regnet’s, während der Nachbar in die Sonne blinzelt.

„Storytelling“, das traditionelle Geschichtenerzählen, darin sind die Iren wahre Meister. Fließt abends im Pub erst einmal das Guinness, jene untergärige schwarze Flüssigkeit mit der cremig-weißen Schaumkrone obenauf, durch die Kehlen der Inselbewohner, fließen gleichwohl auch die Geschichten. Egal, ob es um die bitterarmen Arbeiter in den Kupferminen Kerrys geht oder den Bau des ersten 6-Stern-Hotels in Irland bei Castletownbere. Sechs Millionen Euro investierte eine große Hotelkette in den Wiederauf- und Umbau des historischen Dunboy Castle in eine Luxusherberge für ruhebedürftige Großverdiener. Von außen wirkt der imposante Prachtbau beinahe fertig, ebenso die zur Unterstützung der Finanzierung gleich dahinter gebauten Appartmenthäuser. Aber der Schein trügt: Die Bauarbeiten ruhen; die Investoren wären das Millionengrab inzwischen gerne wieder los. „Eine Schande, wie hier das Geld kaputt gemacht wird“, knurrt Vincey, ein Farmer in seinen 70ern, der – ganz untraditionell – an einer Flasche Ballydonegan-Mineralwasser statt am Guinness festhält.

Ein Ausflug zum Schloss lohnt trotzdem allemal. Die Lage ist einmalig schön, über der Bucht von Castletownbere gelegen, etwas zurückgesetzt auf einem Hügel. Ein schmaler Holperpfad plagt die Stoßdämpfer des Mietwagens, vorbei an einer kleinen Bucht, in der seit Jahrzehnten ein zerfallener Schiffsrumpf vor sich hin modert, flankiert von riesigen Bäumen, die der Urzeit entsprungen scheinen. „Jura meets Pirates of the Caribbean“ quasi. Neu ist das von weißen Engeln und frischen Blumen umgebene kleine Holzkreuz am Ufer. Vor einigen Jahren trafen sich Jugendliche aus der Gegend dort vor dem Schlossgelände, um den Abend ausklingen zu lassen. Eine harmlose Angelegenheit – im Übermut trat einer der Jungen das Gaspedal wohl etwas zu fest durch; das Auto stürzte über die Böschung und landete grade mal zwei Meter tiefer auf dem Dach im Wasser. Nur einen Meter tief war es – damals, bei Ebbe. Doch Colum, Shane und Fintan konnten die Türen nicht mehr öffnen und ertranken, während ihre Freunde am Ufer noch nicht einmal erfasst hatten, welche Tragödie sich da nur wenige Meter entfernt abspielte. In Plastik geschweißte Abschiedsbriefe zeugen von der Lücke, die der Tod der jungen Männer bei Angehörigen und Freunden hinterlassen hat.

Am Schloss vorbei führt der Pfad bis zur Landspitze, welche die Bucht überragt. Dort finden sich mit wilden Brombeeren überrankte Ruinen, geschmückt mit Gedenktafeln, die an den Widerstand gegen die englischen Invasoren im 17. Jahrhundert erinnern. Das sanft hügelige Gelände lädt an schönen Tagen zum Verweilen auf Wiesen und unter Bäumen ein.

Die Brombeeren haben auf der Beara-Halbinsel schon längst den Bäumen den Rang abgelaufen. Entlang der Straße, über die Steinmauern, überall, wo etwas zum Anhaften gegeben ist, wachsen und wuchern sie im Seewind unaufhaltsam vor sich hin und versprechen für den August reiche Ernte. Die abenteuerlichen Straßen, die sich durchs Gelände schlängeln, sind zumeist Singletracks mit Gegenverkehr. Wer hier fährt, braucht Mut, gute Nerven und Gottvertrauen: Kurve folgt auf Kurve; die Fahrbahn wird zumeist begrenzt durch Steinmauern oder mannshohe Fuchsienhecken. Brombeerranken kratzen schnell am Lack, wenn es eng zugeht – bei den Mietwagen-Vermittlern gilt dies nicht als Schaden… Trotz der halsbrecherischen Fahrweise von Einheimischen und Touristen scheint selten Schlimmeres zu passieren. Vielleicht hält ja Jesus Christus persönlich seine schützende Hand über die gläubigen Iren. Oder sind es doch die Fairys, die Feen, die in den Hügeln wohnen und sich an manchen Tagen in Form von geheimnisvoll auf den Wiesen tanzende Nebelschwaden oder als weiße Gischt, die ans Steilufer schlägt, zeigen? Gemeinsam mit den Kobolden geben sie auf Land und Leute Acht. Wehe, man ärgert sie! Wer von Castletown Richtung Westen fährt, muss über ein sehr kurviges Stück Straße fahren. Vor einigen Jahren sollte die Strecke begradigt werden. Doch wie die Einheimischen erzählen, passierten merkwürdige Unfälle – Maschinen gingen kaputt, Material fehlte, sogar ein paar Arbeiter kamen ums Leben. Die Feen hatten ganz offensichtlich etwas gegen das Bauvorhaben. Schließlich wurden die Arbeiten eingestellt; die Strecke bleibt kurvig, die Feen scheinen zufrieden…

Allihies, ein kleines Fischerdorf oberhalb der imposanten Ballydonegan-Bucht, kann mit einer langgezogenen Ortsdurchfahrt glänzen, in der sich alle Farben widerspiegeln. Das eine Haus ist lavendelblau, das nächste gelb, dann feuerrot und so fort. Vier Pubs gab es bis vor wenigen Jahren; mittlerweile sind es noch drei, die im Wechsel am Wochenende auch Live-Musik anbieten. Ist das Wetter schön, sind schnell Tische und Bänke vor die Tür gestellt, und jetzt, Mitte April, scheint die Sonne rekordverdächtig vom Himmel, so dass mittags um vier das Guinness im Freien schon gut mundet. Auf der anderen Straßenseite, zum Meer hin gerichtet, befindet sich der örtliche „Playground“, ein Spielplatz, der komplett umzäunt ist und auf dem sich Kinder und Jugendliche jeden Alters lautstark vergnügen. Ballspiele sind besonders gefragt – ohne Zaun wäre das runde Leder schnell auf dem Abhang Richtung Atlantik unterwegs. Traditionssportart ist „Gaelic Football“, eine rauhe Sportart, die in Irland dem „normalen“ Fußball eine klare Außenseiter-Position zuweist. Was bei der Fifa als grobes Foul gilt, ist im Irischen lediglich normaler Körpereinsatz; zeitweise dürfen auch die Hände eingesetzt werden; wer nach dem Spiel nicht nass und dreckig ist, hat auf dem Feld nichts verloren.

Der Playground ist auch abends noch belebt. Die Jugend spielt draußen, wenn das Wetter dazu taugt – Frost und Schnee kennt man hier nicht –, die Erwachsenen begeben sich in den Pub. Zwei Musiker aus Cork, sicherlich schon über 60, spielen auf. Keinen Folk; nein, Coversongs alter Rockhits von Queen über die Eagles bis Simon & Garfunkel. Angesichts der Lautstärke durch die mitgebrachten Verstärker wünscht man sich die alten Zeiten zurück, als die Session spontan mit Akustikgitarren und Bodhran gespielt wurde. Mittlerweile dürfen auch Frauen mit in den Schankraum; früher wurden sie auf bestimmte Plätze verwiesen oder gar nicht eingelassen. Der Pub als soziale Komponente, als Handelsplatz – hier wurden Geschäfte abgewickelt und per Handschlag und Guinness besiegelt; wer einen Handwerker oder Mechaniker brauchte, vereinbarte hier am Abend einen Termin – nur gut, wenn der Partner nicht so viel getrunken hatte, dass er die Vereinbarung am nächsten Morgen nicht vergessen hatte. In Zeiten des Internets und Telefons gerät dieses Gebaren allerdings langsam in den Hintergrund. Trotzdem sind die Kneipen zumindest an den Wochenenden voll – was soll man sonst auch tun am Abend? Und das Bier ist im Laden fast ebenso teuer wie im Pub. Dennoch: Die Wirtschaftskrise, die Höhenflug und Bauboom Irlands folgte, hat auch hier draußen im Südwesten ihre Spuren hinterlassen; das Geld sitzt nicht mehr locker in der Tasche.

Wer auf Beara Urlaub macht, muss wandern. Ein absolutes Muss! Das Panorama mit den schroff abfallenden Steilklippen, den Felsen, die von wilder Gischt umschäumt werden, ist einzigartig. Im Hinterland eindrucksvolle Hügel, moosgrün bewachsen, mit hunderten von Schafen am Hang. Jetzt, im April, blüht der Stechginster und treibt blumiges Aroma durch die frische Seeluft. Die ganze Natur streckt sich einem neuen Jahr entgegen – Lämmer, Fohlen, Kälber machen zaghafte erste Gehversuche auf den saftigen Weiden. Welch ein Unterschied zu den dunklen Viehställen in Deutschland. Eine irische Kuh würde wahrscheinlich keine Woche dort überleben.

Aber es ist noch gar nicht so lange her, da müssen sich die Menschen in dieser Gegend eingesperrt vorgekommen sein. Stichwort: Minenbau. Die großen Kupferreserven im felsigen Grund wurden ab dem Beginn des 19. Jahrhunderts rücksichtslos ausgebeutet. Überall auf der Halbinsel fraßen sich Minenschächte durch den Basalt, so dass die Hügel um Allihies unter den grünen Felsen einem Schweizer Käse gleichen. Einige der „Engine Houses“ stehen noch als Zeugen einer Zeit, in der Männer, Frauen und Kinder bis zu 16 Stunden am Tag mit Hammer, Meisel und Schwarzpulver das Metall aus den Felsen holten. Über wacklige Holzleitern kletterten sie mehrere hundert Meter in die Tiefe, um in der Dunkelheit und Kälte im knietiefen Wasser stehend dafür zu sorgen, dass die Reichen noch reicher wurden. Das „Man Engine House“ erhielt Mitte des 19. Jahrhunderts eine Art Personenaufzug. Ermöglicht wurde das durch den Schlossherrn von Dunboy Castle, dem Herren Puxley. Natürlich standen keine humanitären Motive im Vordergrund, sondern die Überlegung, dass es Zeitverschwendung war, die Arbeiter erst 50 Minuten lang (!) auf den Leitern in die Tiefe steigen zu lassen. Wertvolle Arbeitszeit ging so verloren. Mit der „Man Engine“ ermöglichte man ein Arbeiten in bis zu 430 Metern Tiefe – mehr als 200 Meter unter Meeresniveau… das Wasser wurde mithilfe von Dampfmaschinen abgepumpt. Für die bitterarmen Arbeiter musste es die Hölle gewesen sein, und es gab viele Todesopfer durch Abstürze, bröckelnde Felsen, gefährliche Infektionen oder – besonders grausam – wenn einer in die Stampfmühle geriet. Im „Coppermine Museum“ in Allihies kann die Geschichte des Kupferabbaus genau unter die Lupe genommen werden.

Heute ist der „Coppermining Trail“ ein beliebter Wanderweg. Wobei „Wanderweg“ nicht unbedingt wegsam bedeutet. Teilweise stehen die Wiesen, über die er führt, tückisch durch Grünzeug getarnt unter Wasser – nasse Füße sollten als normal betrachtet werden. Es geht steil bergab und -auf über rutschige Felsen, durchs Brombeergestrüpp und über kleine Bäche. Hier ist gute Koordination gefragt; für Kinder ist ein solcher Trekkingpfad besser als jedes Zirkeltraining in der Schule. Immer wieder finden sich kleine, flache Teiche in der Landschaft – Überreste der Wasserreservoirs, die für die Kupfergewinnung gebraucht wurden. Auch der breite Strand von Allihies – Ballydonegan Beach – besteht aus dem Quarzsand, der bei der Kupfergewinnung übrig blieb.

Echten Muschelsand findet man hingegen in Garnish, nur wenige Kilometer weiter am nächsten Meereseinschnitt der Bantry Bay. Idyllische Strandbuchten mit tiefblauem Wasser und wunderschönem Panorama auf die Hügellandschaft der gegenüberliegenden Buchten, daneben ein Boots-Pier. Wer will, hängt seine Angel einfach von einem der Felsen ins Wasser und hofft, gleich das Mittagessen an Land zu ziehen. Am Strand spielen bei Windstille schon im April die Kinder in der Frühjahrssonne, und auch ein kleines Bad im 10 Grad kalten Atlantik ist nicht ausgeschlossen. Weiter geht die Fahrt noch ein Stückchen westwärts, wo die Straße am Dursey Head endet. Nur ein kleines Stück Meerenge trennt Dursey Island vom Rest der grünen Insel. Das bewohnte Eiland ist ein Wanderparadies, das allerdings nur auf dem Luftweg erreicht werden kann: Die einzige Seilbahn Irlands führt in 30 Metern Höhe hinüber. Keine angenehme Aussicht für Höhenängstliche.

Wer tags viel unterwegs ist, muss auch essen. In Irland sind Restaurants sehr teuer; eine günstige Alternative ist ein Zwischenstopp in einem der zahlreichen Pubs. Richtiggehend berühmt ist MacCarthy’s Bar in Castletown. Die rote Fassade der Kneipe ist auf dem Cover des gleichnamigen Bestsellers zu finden, in dem der (englische) Autor gleichen Namens seine Reiseerinnerungen über die grüne Insel auf unnachahmlich britisch-humorvolle Art verarbeitet. Bei Adrienna und ihren Angestellten – der einzige nur von Frauen umgetriebene Pub Irlands! – gibt es leckere Sandwiches, gefüllt mit Seelachs, Käse oder Salat. Unbedingt getoastet bestellen! MacCarthys war früher auch ein Gemischtwaren-Laden – so wie viele Pubs. Man konnte sein Bierchen trinken und aus dem Regal gleich ein paar Konserven fürs Abendessen mitnehmen. Wer ein schönes Souvenir sucht: Hier gibt es den Bestseller zu kaufen und ein original MacCarthys-T-Shirt. Bei schönem Wetter stehen Tische und Bänke auf der Straße vor dem Pub – bislang ist angeblich noch nie jemand von den knapp vorbeifahrenden Autos überfahren worden.

Die Beara-Halbinsel ist übrigens ein beliebter Drehort für Filmteams aus aller Welt. „Falling for a Dancer“ wurde hier gedreht; auch das Set zu Colin Farrells Streifen “Ondine” machte hier Station. Die Verkäuferin im Kleiderladen erzählt, dass der ganze Shop umgeräumt wurde für die Dreharbeiten. „Ich bin extra an meinem freien Tag hergekommen – das wollte ich sehen!“  Auch deutsche Filmteams wissen die wildromantische Szenerie der Beara-Halbinsel zu schätzen: Auf Dursey Island wurde für den neuen Rosamunde-Pilcher-Film gedreht. Abends kehrt man dann bei Adrienna ein. Eine Filmklappe am Regal zeugt von der Beliebtheit des Pubs.

Und wer absolute Ruhe braucht, sollte vielleicht einen Abstecher ins buddhistische Zentrum machen. Topmanager und andere gestresste Menschen können hier gegen das nötige Kleingeld zu ihrer inneren Mitte zurückfinden. Erst einmal muss man jedoch zu dem auf halbem Weg zwischen Castletown und Allihies gelegene Zentrum hinfinden! Der schmale Holperpfad scheint ins Nirgendwo zu führen, bevor irgendwann hohe Fahnenmasten mit klein geschriebenen Lebensweisheiten auf dem flatternden Segeltuch den Pfad der Erleuchtung weisen. In einer atemberaubenden Lage hunderte von Metern über dem Meer an den Steilhang geklatscht steht dann das weiße Gebäude am Ende des Wegs. Im Meditationsgarten bieten sich Ausblicke an exponierter Stelle wie sonst nirgendwo auf der Insel. Und wer möchte, kann um die „Skulpa“, ein asiatisches Gebetsmonument, herumgehen und dabei meditieren, während über seinem Kopf kleine bunte Gebetsfahnen flattern. Ich habe es nicht gebraucht. Mein Kopf war auch so von der frischen Atlantikbrise klar.

Reiseinformationen Irland

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