Weg aus der eisigen Kälte des missratenen deutschen Frühjahrs, mitten rein in die Hitze Ägyptens. Unser Ziel, die Coraya Bay, liegt zwar am Meer, doch direkt hinter dem Hotel fängt die Wüste an, mit malerischen Bergen am Horizont. Temperaturen zwischen 30 und 38 Grad erwarten uns, dazu ein lebhafter Wind vom Meer her, der die Hitze erträglich macht.
Nasser Al-Kharafi sei Dank. Hat der 2011 verstorbene Unternehmer aus Kuweit doch dafür gesorgt, dass man ruckzuck von Stuttgart in das südliche Ägypten gelangen kann: Vor rund zwölf Jahren baute die Firma Al-Kharafis zwischen den am Roten Meer gelegenen Orten El-Quesir und Marsa Alam einen Flughafen, der für einen schnelleren Transfer von Touristen in die Region sorgen soll. Über den Airport Marsa Alam geht es stressfrei in den Urlaub. Obwohl jetzt, an Pfingsten, Hochsaison herrscht, laufen die Koffer schon übers Band, als wir im Flughafengebäude ankommen. Der Weg durch den Zoll ist im Handumdrehen durchlaufen, und schon wenige Minuten später sitzen wir in unserem Transfer-Bus.
Eine sensationelle halbe Stunde nach der Landung sitzen wir in der Lobby des Sol y Mar Solaya, das gemeinsam mit vier weiteren Hotels das „Madinat Coraya“ an der gleichnamigen Bucht am traumhaft schönen Roten Meer bildet, und checken bei einem pappig-süßen Cocktail gemütlich ein. Das Sol y Mar Solaya gehört mit gut 200 Zimmern zu den etwas kleineren ägyptischen Hotels – spätestens am zweiten Tag fühlt man sich wie ein Familienmitglied, das von den Angestellten mit dem Vornamen begrüßt wird. Hier ist jeder höflich; der Gast ist König, und eine Heerschar an Mitarbeitern sorgt dafür, dass es an nichts fehlt. Die Zimmer sind geschmackvoll eingerichtet, der Blick auf Pool und Meer perfekt. Die Klimaanlage funktioniert und kann sogar reguliert werden – keine Selbstverständlichkeit in südlichen Hotels! Das Essen ist ausgezeichnet, und wer es gerne schärfer hat, kann sich in der arabischen Ecke und aus den Tontöpfen mit diversen Gewürzen und Ölen bedienen.
Doch wer reist schon wegen des Essens ans Rote Meer? Der wahre Star ist das Wasser selbst. Wer will, kann im kuschelwarmen Poolwasser starten – dank einer Entsalzungsanlage gönnt man sich hier den Luxus eines Süßwasserbades. Früher oder später jedoch erliegt jeder dem Charme und der Faszination der Unterwasserwelt von Marsa Alam. Zwei Wege gibt es, diese in der Coraya Bay zu erkunden. Der erste führt an den Sandstrand, von dem aus man hunderte Meter weit durch seichtes Wasser waten kann, wobei die ersten kleineren Fische einem schon um die Füße flitzen. Wem das zu lange dauert, der lässt sich am weiter draußen gelegenen Steg ins Wasser plumpsen – Taucherbrille, Schnorchel und Flossen sind Pflicht, um die ganze Schönheit des Riffs zu erkunden.
Wer das erste Mal das Rote Meer erschnorchelt, hat das Gefühl, in ein Aquarium zu fallen. Bizarre Korallenformationen ragen meterweit vor dem Besucher auf, dazwischen tummeln sich die verschiedensten Fische – neugierige Papageienfische, Drückerfische, kleine Barrakudas, Blaupunktrochen, Fischschulen und – mit etwas Glück – eine echte Karettschildkröte, die elegant durchs 26 Grad warme Wasser gleitet, um an der Oberfläche Luft zu holen.
Wem es nicht reicht, den Artenreichtum des Roten Meeres via Schnorchel zu erkunden, taucht ganz einfach ab. Das Tauchcenter „Coraya Divers“ liegt zwischen den Hotels und steht unter deutscher Leitung. Täglich werden mehrere Tauchangebote für jeden Kenntnisstand angeboten. Ob Schnupper-, Anfänger- oder Fresh-up-Kurs, ob Hausrifftauchen oder Ausflug mittels Speedboat oder Tauchboot ab Port Ghalib: Hier kommt jeder auf seine Kosten. Die Organisation und der technische Zustand des Leihequipments ist top; lediglich bei den Kosten müssen wir etwas schlucken. Qualität hat halt ihren Preis – auch in Ägypten.
Nach vier Jahren Tauch-Abstinenz bringt uns Tauchguide Valentina aus Italien wieder auf den notwendigen Kenntnisstand, um gefahrlos abtauchen zu können. Bei einem ersten Tauchgang an der südlichen Riffkante entlang entdecken wir entzückt drei junge Napoleonfische, doch auch sonst hat das Hausriff viel zu bieten. Dennoch zieht es uns am übernächsten Tag weg von der Coraya Bay. Mit dem Bus geht es nach Port Ghalib, wo unsere Ausrüstung auf die „Seafun“ geladen wird. Mit dem Schiff geht es ein Viertelstündchen Richtung Süden zum Riff „Umm Elros“. Dort teilen sich Taucher und Schnorchler in verschiedene Gruppen. Dieses Mal haben die Schnorchler mehr Glück: Sie begegnen einer Gruppe großer Schildkröten, die sich beobachten und fotografieren lassen.
Auch ein paar Taucher einer anderen Gruppe haben die Tiere entdeckt, das berichten uns die Schnorchler später. Entgegen der eisernen Regel, dass unter Wasser nichts angefasst werden darf, drehen sie eine der Schildkröten „in Position“, um ein schönes Bild zu erhalten. Es ist immer wieder frustrierend, wenn man erleben muss, mit welcher Respektlosigkeit vor der Natur manche Mitmenschen aus reinem Egoismus das Gleichgewicht der Unterwasserwelt stören! Schade, dass die gutmütigen Tiere nicht mal kurz an den Unbelehrbaren geknabbert haben…
Beim Dive-Spot „Shura“, der rund 40 Minuten Schiffsfahrt von Port Ghalib entfernt liegt, entdeckt ein Mittaucher eine große Riesenmuräne, die träge in der Riffwand hängt und darauf wartet, dass ihr Futter in Form von kleinen Fischen ins Maul schwimmt. Doch die Freude dauert nur kurz an. Schon wenige Minuten später schwimmt einige Meter unter uns eine fremde Tauchergruppe vorbei. Zwei der Gesellen veranstalten ein fragwürdiges Foto-Spektakel: Taucher 1 kniet sich mit einer zerfledderten Zeitung auf den Sandboden, während Taucher 2 sich mit der Kamera in Position bringt, wobei er rücksichtslos mit einem Knie den Korallenblock unter ihm schrammt. Frei nach dem Motto: Ich war ja schon hier, mir doch egal, was mit dem Riff passiert… Schade, dass man solchen Gesellen nicht an Ort und Stelle die Tauchlizenz entziehen kann!
Da man sich aber nicht den ganzen Tag nur mit Tauchen und Schnorcheln beschäftigen kann, sucht sich der Rote-Meer-Tourist natürlich auch noch andere Beschäftigungen. Zum Beispiel Wasserball spielen im Hotelpool. Weniger gefragt ist Step-Aerobic in der 35 Grad warmen Luft, doch zum Zumba unter freiem Himmel finden sich ein paar Damen, die sich zusätzlich ins Schwitzen bringen wollen (ich gehöre allerdings nicht dazu). Am Strand gibt es Boccia-Felder, auch Tennis könnte man spielen, wenn man wollte. Oder den dem Madinat angegliederten Wasserpark besuchen. Dort warten sechs große Rutschen auf unternehmungslustige Urlauber. Abends gibt es Live-Musik auf der Terrasse, eine Bühnenshow des Animationsteams und gelegentlich Disco für die jüngeren Semester. Ach ja – Fußball gab es auch: Das Champions-League-Finale live im Innenhof des Nachbarhotels, unter freiem Himmel und bei freien Drinks. Dort versammelten sich mehrere hundert Fußballfans und -interessierte, um zu jubeln und zu jammern. Die Jubler waren in der Überzahl – Bayern hat Schulferien.
Nur rund sieben Kilometer von der Coraya Bay entfernt ist in den vergangenen Jahren eine künstliche Stadt auf dem Wüstenboden gewachsen: Port Ghalib, eine Mischung aus Feriensiedlung und orientalischem Traum, wurde ebenfallls von der „M.A. Kharafi Group“ aus Kuweit aus dem Boden gestampft, ein Projekt, das den Touristenboom in der Region voranbringen soll. Rund 1000 Yachten finden in der großzügigen Marina Platz; der Ort hat sich seit seiner Eröffnung vor acht Jahren zu einem Dreh- und Angelpunkt für Tauchsafaris entwickelt. Am Abend tobt rund um den Hafen das Leben. Hier wird Kaffee getrunken und Shisha geraucht, und eine Straßenfront weiter kann im Basar der Stadt gehandelt werden. Zahlreiche Hotels und Ferienresidenzen laden zum Aufenthalt ein – die Coraya Bay ist uns dennoch lieber als das Prestige-Objekt mit seiner eindrucksvollen Architektur.
Eine Woche Ägypten: Entspannung und Erlebnis pur. Am Tag unserer Abreise gleiten wir noch einmal mit dem Schnorchel am Hausriff entlang. Eine hübsche Karettschildkröte schwebt vor uns aus der Tiefe auf, dreht langsam ab, nur um einige Minuten später plötzlich wieder neben uns zu schwimmen. Eine schönere Verabschiedung kann man sich nicht wünschen. Rund neun Stunden später steigen wir in Stuttgart aus dem Flieger. Das Thermometer zeigt drei Grad, es regnet in Strömen. Für einen kurzen Moment möchten wir umdrehen und zurückfliegen. Unser Flugbegleiter lächelt milde: „Tut mir leid, das war der letzte Flug für heute…“