Daniel Wirtz ist den Mosaicpunkt-Moderatorinnen kein Unbekannter. Schon 2012 haben wir über den tätowiert-talentierten Rocker geschrieben, und das – geben wir es zu – ohne sonderlich viel Resonanz. Doch das war gestern. „Auf die Plätze, fertig, los“ heißt sein neues Album, und halb Deutschland scheint schon in den Startlöchern zu stehen, um sich den Silberling zu holen. Grund ist die Fernsehshow „Sing meinen Song“, in der Wirtz als Underdog an den Start ging und mittlerweile alle auf der Ziellinie überholt hat. Und auch der Uralt-Artikel hier auf unserem Blog wird wild geklickt.
An dieser Stelle erlauben wir uns, doch einmal ganz altklug zu sagen: „Wir haben’s doch gleich gewusst, der Junge ist gut!“ Zum Glück kann man das auch von seiner neuen Scheibe sagen. Nach dem saftvoll-kraftvollen Opener, der den Namen des Albums trägt, wärmt „Mantra“ mit eher ruhigen, aber kraftvollen Tönen den Hörer vor. Das Stück entwickelt die für Wirtz typische Sound-Dynamik und bietet sich – hallo, Herr Wirtz, hör’n Sie? – perfekt als Single-Auskopplung an. Ein Ohrwurm, der zum Glück keine aufdringliche Hookline hat, sondern einfach nur Spaß macht. Nächste Nummer, härtere Töne: „Regentropfen“ ist eine Aufforderung dazu, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.
Wer die alten Alben von Wirtz kennt, fängt an, sich zu wundern: Keine Spur von Pessimismus bislang, kein bisschen Depri steckt in den Texten. „Passt Dein Leben in Schablonen, oder hast Du and’re Ambitionen?“, singt der gute Daniel – und beweist mit dieser Kehrtwende einmal mehr, dass er sich nicht nach einem Schema richtet, sondern sein eigenes Ding durchzieht und sich dabei weiterentwickelt.
Ein Hauch von Melancholie weht dann mit „Du fährst im Dunkeln“ durch den Raum. Freundschaft, Drogen, Selbstzerstörung – es scheint, als würde Daniel Wirtz 2015 auf sein Debüt-Album „11 Zeugen“ zurückblicken, auf einen Menschen, der im Sumpf des Lebens gefangen ist, abhängig von vielen Dingen, auch der eigenen Stimmung. Auch hier nutzt der Wortkünstler Daniel Wirtz die für ihn typische plakative Sprache und schöne Metaphern, die das Songkonstrukt saftig und hörenswert machen.
In der Melodik experimentiert Wirtz auf seinem neuen Album mehr, zum Beispiel mit dem verstärkten Einsatz elektronischer Elemente, die den Songs mal mehr, mal weniger guttun. Vor allem eingefleischte Alt-Fans werden sich unter Umständen schwer tun, das neue Werk mit dem „klassischen Wirtz“ zu verbinden. Erste Töne aus den Reihen der Gefolgschaft jammern schon über Oberflächlichkeit, platte Texte und zu viel Mainstream-Kommerzialität. Aber seien wir doch mal ehrlich: Was bedeutet Fortschritt, was bedeutet Weiterentwicklung? Ist ein Musiker, der es in früheren Jahren krachen ließ, vielleicht auch abgerutscht ist und Sinnkrisen hatte, diese in musikalische Ergüsse umsetzte und darüber sang, authentischer als einer, der dasselbe in einer neuen Lebenssituation tut?
Daniel Wirtz geht auf die 40 zu. Vom Wesen her wirkt er geerdet wie eh und je. Der umgängliche Typ, den jetzt ganz Fernseh-Deutschland beim Chillen und Singen in der südafrikanischen Luxusvilla beobachten kann, wirkt nicht anders, nicht aufgeblasener oder aufgesetzter als der alte Dan. Doch Wirtz 2015 ist nun mal ein Mensch, der wie jeder andere auch an Erfahrung dazu gewonnen und sich weiterentwickelt hat. Der Mann wurde kürzlich Vater und testet nun vermutlich das, was man so schön „das bürgerliche Leben“ nennt. Zumindest zu den Zeiten, in denen er nicht gerade im Tonstudio oder auf Tour steckt.
Würde dieser Daniel Wirtz weiterhin über die Themen singen, die er auf „11 Zeugen“, „Erdling“ und „Akustik Voodoo“ aufgriff, wäre er dann noch „authentisch“? Nein. DAS wäre dann aufgesetzt. So verhält es sich anders herum. Das neue Umfeld, die neuen Anforderungen fließen ins Songwriting ein. Das erklärt, warum das neue Album anders klingt. Positiver, offener, nicht mehr so kryptisch. Ob diese Entwicklung gefällt oder nicht – das hängt vom Hörer ab. Manch einer steht an einem anderen Punkt im Leben, manch einer wird von „Auf die Plätze, fertig, los“ natürlich nicht gefangen sein. Andere hingegen werden mit dem „neuen“ Wirtz mehr anfangen können als vorher.
Ansichtssache. Wirtz ist sich mit seinem neuen Werk also treu geblieben. Vielleicht ist mir persönlich ein bisschen zu viel „Bling-Bling“ in Form von elektronischen Experimenten auf der Scheibe, aber ansonsten höre ich das, was ich hören will: Einen Mann mit unglaublich viel Talent, der sein Ding durchzieht, ohne sich groß Gedanken darum zu machen, wer seiner neuen Richtung folgt. Denn ein Künstler schreibt seine Musik in erster Linie für… sich selbst. (bb)