2012 – Irland – das ist Guinness, das sind rothaarige, sommersprossige Menschen mit einem ganz besonderen “sense of humor”, das ist frische Seeluft und saftiges Grün, aber auch eine lebhafte, blutige Geschichte und die immer noch tiefe Verwurzelung im Glauben. So klein die Insel ist, so viele Facetten hat sie auch. Hier stellen wir heute die Beara-Halbinsel im äußersten Südwesten Irlands vor – die Küste war das letzte Land, das die Fahrgäste der legendären “Titanic” sahen, bevor sie zu ihrer verhängnisvollen Reise über den Atlantik aufbrachen.
„My land is too green…“, singt die Irin Mary Coughlan auf ihrem 1987 erschienenen Album „Under the influence“, und grün ist Irland immer noch. Auch wenn sich einiges im Lauf der Zeit geändert hat – manche Dinge bleiben bestehen. Die Kirchen auf dem Land sind sonntags immer noch voll, die schmalen Ortsdurchfahrten zugeparkt mit den Autos der Einheimischen – ohne fahrbaren Untersatz geht nichts hier im Südwesten der Insel. Besteht der Ortskern aus zehn Häusern, liegen in der Umgebung 50 weitere, verstreut wie die Schafe auf den Hängen ringsherum.
„Sunny spells and scattered showers“, ein weiterer Satz aus dem Song, der seine Beständigkeit behält. Wie Tragik und Humor sich im Gespräch mit den Iren die Waage halten, so wechseln sich Regenschauer und Sonnenschein ab. Als das Flugzeug über Irland gleitet, sind helle und dunkle Abschnitte auf dem bunten Flickenteppich aus Viehweiden und Steinmauern im Co. Kerry deutlich auszumachen: Beim einen regnet’s, während der Nachbar in die Sonne blinzelt.
„Storytelling“, das traditionelle Geschichtenerzählen, darin sind die Iren wahre Meister. Fließt abends im Pub erst einmal das Guinness, jene untergärige schwarze Flüssigkeit mit der cremig-weißen Schaumkrone obenauf, durch die Kehlen der Inselbewohner, fließen gleichwohl auch die Geschichten. Egal, ob es um die bitterarmen Arbeiter in den Kupferminen Kerrys geht oder den Bau des ersten 6-Stern-Hotels in Irland bei Castletownbere. Sechs Millionen Euro investierte eine große Hotelkette in den Wiederauf- und Umbau des historischen Dunboy Castle in eine Luxusherberge für ruhebedürftige Großverdiener. Von außen wirkt der imposante Prachtbau beinahe fertig, ebenso die zur Unterstützung der Finanzierung gleich dahinter gebauten Appartmenthäuser. Aber der Schein trügt: Die Bauarbeiten ruhen; die Investoren wären das Millionengrab inzwischen gerne wieder los. „Eine Schande, wie hier das Geld kaputt gemacht wird“, knurrt Vincey, ein Farmer in seinen 70ern, der – ganz untraditionell – an einer Flasche Ballydonegan-Mineralwasser statt am Guinness festhält.
Ein Ausflug zum Schloss lohnt trotzdem allemal. Die Lage ist einmalig schön, über der Bucht von Castletownbere gelegen, etwas zurückgesetzt auf einem Hügel. Ein schmaler Holperpfad plagt die Stoßdämpfer des Mietwagens, vorbei an einer kleinen Bucht, in der seit Jahrzehnten ein zerfallener Schiffsrumpf vor sich hin modert, flankiert von riesigen Bäumen, die der Urzeit entsprungen scheinen. „Jura meets Pirates of the Caribbean“ quasi. Neu ist das von weißen Engeln und frischen Blumen umgebene kleine Holzkreuz am Ufer. Vor einigen Jahren trafen sich Jugendliche aus der Gegend dort vor dem Schlossgelände, um den Abend ausklingen zu lassen. Eine harmlose Angelegenheit – im Übermut trat einer der Jungen das Gaspedal wohl etwas zu fest durch; das Auto stürzte über die Böschung und landete grade mal zwei Meter tiefer auf dem Dach im Wasser. Nur einen Meter tief war es – damals, bei Ebbe. Doch Colum, Shane und Fintan konnten die Türen nicht mehr öffnen und ertranken, während ihre Freunde am Ufer noch nicht einmal erfasst hatten, welche Tragödie sich da nur wenige Meter entfernt abspielte. In Plastik geschweißte Abschiedsbriefe zeugen von der Lücke, die der Tod der jungen Männer bei Angehörigen und Freunden hinterlassen hat.
Am Schloss vorbei führt der Pfad bis zur Landspitze, welche die Bucht überragt. Dort finden sich mit wilden Brombeeren überrankte Ruinen, geschmückt mit Gedenktafeln, die an den Widerstand gegen die englischen Invasoren im 17. Jahrhundert erinnern. Das sanft hügelige Gelände lädt an schönen Tagen zum Verweilen auf Wiesen und unter Bäumen ein.
Die Brombeeren haben auf der Beara-Halbinsel schon längst den Bäumen den Rang abgelaufen. Entlang der Straße, über die Steinmauern, überall, wo etwas zum Anhaften gegeben ist, wachsen und wuchern sie im Seewind unaufhaltsam vor sich hin und versprechen für den August reiche Ernte. Die abenteuerlichen Straßen, die sich durchs Gelände schlängeln, sind zumeist Singletracks mit Gegenverkehr. Wer hier fährt, braucht Mut, gute Nerven und Gottvertrauen: Kurve folgt auf Kurve; die Fahrbahn wird zumeist begrenzt durch Steinmauern oder mannshohe Fuchsienhecken. Brombeerranken kratzen schnell am Lack, wenn es eng zugeht – bei den Mietwagen-Vermittlern gilt dies nicht als Schaden… Trotz der halsbrecherischen Fahrweise von Einheimischen und Touristen scheint selten Schlimmeres zu passieren. Vielleicht hält ja Jesus Christus persönlich seine schützende Hand über die gläubigen Iren. Oder sind es doch die Fairys, die Feen, die in den Hügeln wohnen und sich an manchen Tagen in Form von geheimnisvoll auf den Wiesen tanzende Nebelschwaden oder als weiße Gischt, die ans Steilufer schlägt, zeigen? Gemeinsam mit den Kobolden geben sie auf Land und Leute Acht. Wehe, man ärgert sie! Wer von Castletown Richtung Westen fährt, muss über ein sehr kurviges Stück Straße fahren. Vor einigen Jahren sollte die Strecke begradigt werden. Doch wie die Einheimischen erzählen, passierten merkwürdige Unfälle – Maschinen gingen kaputt, Material fehlte, sogar ein paar Arbeiter kamen ums Leben. Die Feen hatten ganz offensichtlich etwas gegen das Bauvorhaben. Schließlich wurden die Arbeiten eingestellt; die Strecke bleibt kurvig, die Feen scheinen zufrieden…
Allihies, ein kleines Fischerdorf oberhalb der imposanten Ballydonegan-Bucht, kann mit einer langgezogenen Ortsdurchfahrt glänzen, in der sich alle Farben widerspiegeln. Das eine Haus ist lavendelblau, das nächste gelb, dann feuerrot und so fort. Vier Pubs gab es bis vor wenigen Jahren; mittlerweile sind es noch drei, die im Wechsel am Wochenende auch Live-Musik anbieten. Ist das Wetter schön, sind schnell Tische und Bänke vor die Tür gestellt, und jetzt, Mitte April, scheint die Sonne rekordverdächtig vom Himmel, so dass mittags um vier das Guinness im Freien schon gut mundet. Auf der anderen Straßenseite, zum Meer hin gerichtet, befindet sich der örtliche „Playground“, ein Spielplatz, der komplett umzäunt ist und auf dem sich Kinder und Jugendliche jeden Alters lautstark vergnügen. Ballspiele sind besonders gefragt – ohne Zaun wäre das runde Leder schnell auf dem Abhang Richtung Atlantik unterwegs. Traditionssportart ist „Gaelic Football“, eine rauhe Sportart, die in Irland dem „normalen“ Fußball eine klare Außenseiter-Position zuweist. Was bei der Fifa als grobes Foul gilt, ist im Irischen lediglich normaler Körpereinsatz; zeitweise dürfen auch die Hände eingesetzt werden; wer nach dem Spiel nicht nass und dreckig ist, hat auf dem Feld nichts verloren.
Der Playground ist auch abends noch belebt. Die Jugend spielt draußen, wenn das Wetter dazu taugt – Frost und Schnee kennt man hier nicht –, die Erwachsenen begeben sich in den Pub. Zwei Musiker aus Cork, sicherlich schon über 60, spielen auf. Keinen Folk; nein, Coversongs alter Rockhits von Queen über die Eagles bis Simon & Garfunkel. Angesichts der Lautstärke durch die mitgebrachten Verstärker wünscht man sich die alten Zeiten zurück, als die Session spontan mit Akustikgitarren und Bodhran gespielt wurde. Mittlerweile dürfen auch Frauen mit in den Schankraum; früher wurden sie auf bestimmte Plätze verwiesen oder gar nicht eingelassen. Der Pub als soziale Komponente, als Handelsplatz – hier wurden Geschäfte abgewickelt und per Handschlag und Guinness besiegelt; wer einen Handwerker oder Mechaniker brauchte, vereinbarte hier am Abend einen Termin – nur gut, wenn der Partner nicht so viel getrunken hatte, dass er die Vereinbarung am nächsten Morgen nicht vergessen hatte. In Zeiten des Internets und Telefons gerät dieses Gebaren allerdings langsam in den Hintergrund. Trotzdem sind die Kneipen zumindest an den Wochenenden voll – was soll man sonst auch tun am Abend? Und das Bier ist im Laden fast ebenso teuer wie im Pub. Dennoch: Die Wirtschaftskrise, die Höhenflug und Bauboom Irlands folgte, hat auch hier draußen im Südwesten ihre Spuren hinterlassen; das Geld sitzt nicht mehr locker in der Tasche.
Wer auf Beara Urlaub macht, muss wandern. Ein absolutes Muss! Das Panorama mit den schroff abfallenden Steilklippen, den Felsen, die von wilder Gischt umschäumt werden, ist einzigartig. Im Hinterland eindrucksvolle Hügel, moosgrün bewachsen, mit hunderten von Schafen am Hang. Jetzt, im April, blüht der Stechginster und treibt blumiges Aroma durch die frische Seeluft. Die ganze Natur streckt sich einem neuen Jahr entgegen – Lämmer, Fohlen, Kälber machen zaghafte erste Gehversuche auf den saftigen Weiden. Welch ein Unterschied zu den dunklen Viehställen in Deutschland. Eine irische Kuh würde wahrscheinlich keine Woche dort überleben.
Aber es ist noch gar nicht so lange her, da müssen sich die Menschen in dieser Gegend eingesperrt vorgekommen sein. Stichwort: Minenbau. Die großen Kupferreserven im felsigen Grund wurden ab dem Beginn des 19. Jahrhunderts rücksichtslos ausgebeutet. Überall auf der Halbinsel fraßen sich Minenschächte durch den Basalt, so dass die Hügel um Allihies unter den grünen Felsen einem Schweizer Käse gleichen. Einige der „Engine Houses“ stehen noch als Zeugen einer Zeit, in der Männer, Frauen und Kinder bis zu 16 Stunden am Tag mit Hammer, Meisel und Schwarzpulver das Metall aus den Felsen holten. Über wacklige Holzleitern kletterten sie mehrere hundert Meter in die Tiefe, um in der Dunkelheit und Kälte im knietiefen Wasser stehend dafür zu sorgen, dass die Reichen noch reicher wurden. Das „Man Engine House“ erhielt Mitte des 19. Jahrhunderts eine Art Personenaufzug. Ermöglicht wurde das durch den Schlossherrn von Dunboy Castle, dem Herren Puxley. Natürlich standen keine humanitären Motive im Vordergrund, sondern die Überlegung, dass es Zeitverschwendung war, die Arbeiter erst 50 Minuten lang (!) auf den Leitern in die Tiefe steigen zu lassen. Wertvolle Arbeitszeit ging so verloren. Mit der „Man Engine“ ermöglichte man ein Arbeiten in bis zu 430 Metern Tiefe – mehr als 200 Meter unter Meeresniveau… das Wasser wurde mithilfe von Dampfmaschinen abgepumpt. Für die bitterarmen Arbeiter musste es die Hölle gewesen sein, und es gab viele Todesopfer durch Abstürze, bröckelnde Felsen, gefährliche Infektionen oder – besonders grausam – wenn einer in die Stampfmühle geriet. Im „Coppermine Museum“ in Allihies kann die Geschichte des Kupferabbaus genau unter die Lupe genommen werden.
Heute ist der „Coppermining Trail“ ein beliebter Wanderweg. Wobei „Wanderweg“ nicht unbedingt wegsam bedeutet. Teilweise stehen die Wiesen, über die er führt, tückisch durch Grünzeug getarnt unter Wasser – nasse Füße sollten als normal betrachtet werden. Es geht steil bergab und -auf über rutschige Felsen, durchs Brombeergestrüpp und über kleine Bäche. Hier ist gute Koordination gefragt; für Kinder ist ein solcher Trekkingpfad besser als jedes Zirkeltraining in der Schule. Immer wieder finden sich kleine, flache Teiche in der Landschaft – Überreste der Wasserreservoirs, die für die Kupfergewinnung gebraucht wurden. Auch der breite Strand von Allihies – Ballydonegan Beach – besteht aus dem Quarzsand, der bei der Kupfergewinnung übrig blieb.
Echten Muschelsand findet man hingegen in Garnish, nur wenige Kilometer weiter am nächsten Meereseinschnitt der Bantry Bay. Idyllische Strandbuchten mit tiefblauem Wasser und wunderschönem Panorama auf die Hügellandschaft der gegenüberliegenden Buchten, daneben ein Boots-Pier. Wer will, hängt seine Angel einfach von einem der Felsen ins Wasser und hofft, gleich das Mittagessen an Land zu ziehen. Am Strand spielen bei Windstille schon im April die Kinder in der Frühjahrssonne, und auch ein kleines Bad im 10 Grad kalten Atlantik ist nicht ausgeschlossen. Weiter geht die Fahrt noch ein Stückchen westwärts, wo die Straße am Dursey Head endet. Nur ein kleines Stück Meerenge trennt Dursey Island vom Rest der grünen Insel. Das bewohnte Eiland ist ein Wanderparadies, das allerdings nur auf dem Luftweg erreicht werden kann: Die einzige Seilbahn Irlands führt in 30 Metern Höhe hinüber. Keine angenehme Aussicht für Höhenängstliche.
Wer tags viel unterwegs ist, muss auch essen. In Irland sind Restaurants sehr teuer; eine günstige Alternative ist ein Zwischenstopp in einem der zahlreichen Pubs. Richtiggehend berühmt ist MacCarthy’s Bar in Castletown. Die rote Fassade der Kneipe ist auf dem Cover des gleichnamigen Bestsellers zu finden, in dem der (englische) Autor gleichen Namens seine Reiseerinnerungen über die grüne Insel auf unnachahmlich britisch-humorvolle Art verarbeitet. Bei Adrienna und ihren Angestellten – der einzige nur von Frauen umgetriebene Pub Irlands! – gibt es leckere Sandwiches, gefüllt mit Seelachs, Käse oder Salat. Unbedingt getoastet bestellen! MacCarthys war früher auch ein Gemischtwaren-Laden – so wie viele Pubs. Man konnte sein Bierchen trinken und aus dem Regal gleich ein paar Konserven fürs Abendessen mitnehmen. Wer ein schönes Souvenir sucht: Hier gibt es den Bestseller zu kaufen und ein original MacCarthys-T-Shirt. Bei schönem Wetter stehen Tische und Bänke auf der Straße vor dem Pub – bislang ist angeblich noch nie jemand von den knapp vorbeifahrenden Autos überfahren worden.
Die Beara-Halbinsel ist übrigens ein beliebter Drehort für Filmteams aus aller Welt. „Falling for a Dancer“ wurde hier gedreht; auch das Set zu Colin Farrells Streifen “Ondine” machte hier Station. Die Verkäuferin im Kleiderladen erzählt, dass der ganze Shop umgeräumt wurde für die Dreharbeiten. „Ich bin extra an meinem freien Tag hergekommen – das wollte ich sehen!“ Auch deutsche Filmteams wissen die wildromantische Szenerie der Beara-Halbinsel zu schätzen: Auf Dursey Island wurde für den neuen Rosamunde-Pilcher-Film gedreht. Abends kehrt man dann bei Adrienna ein. Eine Filmklappe am Regal zeugt von der Beliebtheit des Pubs.
Und wer absolute Ruhe braucht, sollte vielleicht einen Abstecher ins buddhistische Zentrum machen. Topmanager und andere gestresste Menschen können hier gegen das nötige Kleingeld zu ihrer inneren Mitte zurückfinden. Erst einmal muss man jedoch zu dem auf halbem Weg zwischen Castletown und Allihies gelegene Zentrum hinfinden! Der schmale Holperpfad scheint ins Nirgendwo zu führen, bevor irgendwann hohe Fahnenmasten mit klein geschriebenen Lebensweisheiten auf dem flatternden Segeltuch den Pfad der Erleuchtung weisen. In einer atemberaubenden Lage hunderte von Metern über dem Meer an den Steilhang geklatscht steht dann das weiße Gebäude am Ende des Wegs. Im Meditationsgarten bieten sich Ausblicke an exponierter Stelle wie sonst nirgendwo auf der Insel. Und wer möchte, kann um die „Skulpa“, ein asiatisches Gebetsmonument, herumgehen und dabei meditieren, während über seinem Kopf kleine bunte Gebetsfahnen flattern. Ich habe es nicht gebraucht. Mein Kopf war auch so von der frischen Atlantikbrise klar.
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