Archiv | April, 2014

Buchvorstellung: „Ehre“ von Elif Shafak

30 Apr

Ab sofort stellt euch unsere Bücherexpertin Susanne (Dipl.-Bibl.) in unregelmäßiger Folge lesenswerte aktuelle Bücher vor. Wir wünschen euch viel Spaß und viele neue Anregungen. Und denkt daran: Falls ihr das eine oder andere dieser Bücher lesen wollt…kauft es in der Buchhandlung in eurer Nähe – oder leiht es euch in der Bibliothek aus!

Elif SHAFAK: Ehre. Kein & Aber, 2014

Foto: Kein & Aber Verlag, Zürich

Foto: Kein & Aber Verlag, Zürich

London 1992. Ein Mann wird nach 20 Jahren Haft aus einem Londoner Gefängnis entlassen. Als 18-jähriger hat Iskender seine Mutter erstochen. Es war ein Ehrenmord. Dieser Roman beginnt also mit einer Szene, die man bei der Lektüre immer vor Augen haben wird, und egal welche Hoffnungen und Wünsche man für die Protagonisten entwickelt, dieser Vorgriff wird sie in der Sekunde ihres Entstehens zerstören. Aber die Geschichte beginnt über ein halbes Jahrhundert früher, und das unausweichliche Ende ist noch ganz weit weg.

Während in Europa der Zweite Weltkrieg zu Ende geht, kommen in einem entlegenen kurdischen Bergdorf die Zwillinge Jamila und Pembe als sechste und siebte Töchter einer Bauernfamilie zur Welt, die sich nichts sehnlicher wünscht als einen Sohn. Kein guter Start ins Leben, und als Ausdruck ihrer abgrundtiefen Verzweiflung gibt ihre Mutter ihnen zusätzlich kurdische Namen, die in der Übersetzung „Genug“ und „Schicksal“ bedeuten. Wie viele Zwillinge verbindet die Mädchen ein enges Band der Zuneigung und Seelenverwandtschaft, aber ihre Wege trennen sich früh.

Während Pembe einen Mann heiratet, der eigentlich ihre Schwester liebt und mit ihm zuerst nach Istanbul zieht und später nach England auswandert, bleibt Jamila ledig und kinderlos in der heimatlichen Bergwelt zurück. Als Hebamme und Naturheilkundlerin genießt sie ein hohes Ansehen und setzt ihre ganze Kraft und Liebe für möglichst sanfte Geburten ihrer Wöchnerinnen und die Heilung ihrer Patienten ein. Dabei macht sie keinen Unterschied, ob sie einen Verbrecher oder eventuell sein Opfer behandelt, jedes Leben ist ihr heilig. Mit ihrer Schwester in London führt sie einen regen Briefwechsel, der erst dadurch möglich ist, weil der Vater seine Töchter gegen den Willen der Mutter zur Schule schickte.

Im London der 70er Jahre vereinsamt Pembe zusehends. Obwohl erst Mitte 30 und bildschön, kann sie ihren Mann Adem nicht halten, er verlässt sie und ihre drei Kinder, um mit einer englischen Striptease-Tänzerin zusammenzuleben, die das genaue Gegenteil von dem verkörpert, was er von seiner muslimischen Ehefrau erwartet. Doch dann geschieht das Unfassbare. Pembe, die auch nach vielen Jahren kaum ein Wort Englisch spricht, verliebt sich in den weltgewandten, sanftmütigen Koch Elias, der ihre Gefühle erwidert und fest entschlossen ist, die zurückhaltende Frau zu erobern und glücklich zu machen. Pembe weiß, dass diese Liebe unter keinem guten Stern steht und berichtet ihrer Schwester brieflich von ihrer seelischen Not. Was Pembe nicht weiß, ist, dass ihr über alles geliebter ältester Sohn Iskender, ihr Augapfel, ihr Sultan, in die Fänge islamischer Fundamentalisten geraten ist, die ihm eintrichtern, die Ehre der Familie wieder herstellen zu müssen. Der unheilvolle Kreis, der zu Beginn des Romans gezogen wurde, beginnt sich zu schließen, die Katastrophe ist unabwendbar.

Trotzdem ist dieses Buch nicht düster und abgründig, sondern voller sprachlicher Schönheit und märchenhafter Magie. Wie die Autorin die unterschiedlichen Lebenssituationen der beiden Schwestern in der pulsierenden Großstadt und der mittelalterlich anmutenden Bergwelt gegenüber stellt und wie sie die Spannung einer Handlung, deren Ende man kennt, aufrechterhalten kann, zeugt von meisterlichem Erzähltalent. Am Ende erwartet den Leser eine Überraschung, die verwirrend unerwartet, tröstlich und fast so etwas wie ein Happyend ist.

Die Autorin Elif Shafak (*1971) ist die wahrscheinlich bekannteste Schriftstellerin der Türkei. Als Diplomatentochter lebte sie sowohl in ihrer Heimat als auch in einigen westeuropäischen Großstädten. Ihre Romane werden in mehr als 25 Sprachen übersetzt. In der Türkei wird sie geliebt, gefeiert und mit Preisen ausgezeichnet, stand aber ebenso bereits wegen „Beleidigung und Verunglimpfung des türkischen Staates“ vor Gericht. Der Prozess wurde zu ihren Gunsten entschieden. Elif Shafak ist Universitätsdozentin, ist als Journalistin tätigt und textet auch Songs für türkische Rockbands. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Istanbul und London. In Deutschland erschienen bereits einige frühere Werke wie der historische Roman „Der Bastard von Istanbul“ oder „Die vierzig Geheimnisse der Liebe“ eine Lebensgeschichte des Dichters Rumi. „Ehre“ gehört für mich zu den schönsten Romanen des Frühjahrs und wird mir ein unvergessliches Leseerlebnis bleiben. (sst)

 

Trend Crowdfunding – oder auch „Krautfunding“

26 Apr
(c) Thomas Godoj

(c) Thomas Godoj

Crowdfunding ist mittlerweile in aller Munde und Medien. Diese Form der Vorfinanzierung von beispielsweise Musik- und Filmprojekten wird immer beliebter bei Künstlern wie auch den sogenannten Supportern. Die größte Crowdfunding-Community im deutschsprachigen Raum, über die solche Projekte abgewickelt werden, ist Startnext. Sehr viel Aufmerksamkeit erhielt vor einiger Zeit die Vorfinanzierung des Kinofilms „Stromberg“ über Startnext. Es sollten 1 Mio. Euro gesammelt werden, um den Film zu finanzieren. In diesem Fall lief die Finanzierung über eine Mischung aus Crowdfunding (bei dem der Supporter sogenannte Dankeschöns für seine Spende bekommt) und Crowdinvesting (bei dem der Supporter im Erfolgsfall auch eine Rendite erhält). Mehr dazu in einem FAZ-Artikel.

Auch wir haben ein paar Projekte auf Startnext beobachtet: So hatte Max Giesinger vor kurzem die gewünschten 10.000 Euro zur Finanzierung seines ersten Albums „Laufen Lernen“ innerhalb eines Tages beisammen und erzielte am Ende der Finanzierungsphase sogar eine Summe von 23.755 Euro, mit der nun nicht nur das Album produziert, sondern auch Promotionaktivitäten bezahlt werden können.

Ebenfalls einen Speedstart hat diese Woche David Pfeffer hingelegt – innerhalb von nur vier Stunden hatte er die für die Produktion einer EP benötigte Summe von 8.500 Euro beisammen. Das Projekt steht derzeit bei über 12.000 Euro und läuft noch gut vier Wochen. Die Albumkampagne der Killerpilze zum „KP der guten Hoffnung“ sollte 55.000 Euro einbringen – es wurden 75.500 Euro!

Natürlich gibt es auch Projekte, die ihr Fundingziel nicht erreichen wie z. B. littlelunch – eine BIO Suppenküche, die gesunde Bio-Suppen im ökologischen Glas aus regionalen Zutaten produzieren und vertreiben will. Aber das heißt natürlich nicht, dass die Macher deshalb aufgeben. Sie schreiben: „Wie Ihr seht haben wir das Ziel bei Startnext vorerst nicht erreicht…vorerst! Denn das hält uns natürlich nicht davon ab littleluch zu starten. Wir stehen in den letzten Schritten und sind schon kräftig am Kochlöffel schwingen.“

Das nächste Projekt, das wir gespannt beobachten werden, ist die Album-Kampagne „V“ von Thomas Godoj. Er hat ambitionierte 55.000 Euro angesetzt, um sein mittlerweile 5. Album „in Eigenregie zu stemmen, und zwar mit der größtmöglichen künstlerischen Freiheit und Unabhängigkeit“. Deshalb hat auch er sich für – wie er sagt – „Krautfunding“ mit Startnext entschieden. Ab nächster Woche werden seine Supporter 75 Tage lang Zeit haben, die Summe zusammenzubringen und sich selbst eine Reihe an attraktiven Dankeschöns vom einfachen Album-Download über CD Limited Editions und limitierten Teilnahmen bei Foto-Shootings, Videodrehs, Promotion-Terminen bis hin zu verschiedenen Variationen von Wohnzimmer-Konzerten zu sichern.

Startnext hat bislang 1.607 Projekte mit insgesamt 10.101.820 Euro finanziert. Crowdfunding ist nicht neu, rückt aber immer mehr in den Fokus. Es ist eine interessante, spannende und offensichtlich erfolgreiche Art wie Künstler ihre Träume und Visionen mit der direkten Unterstützung von vielen Menschen finanzieren und realisieren können. Und seien wir ehrlich: Es ist doch ein schönes Gefühl, ein Teil eines solchen Projekts zu sein! (ima)

 

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