Archiv | Juni, 2016

Vier Tage, drei Nächte – Teil 3: Das Paradies bei Sirmione

19 Jun

Traum und Albtraum liegen nahe beieinander in Sirmione, jener Halbinsel im äußersten Süden des Gardasees, welche die Sehnsüchte von Italien-Urlaubern in sich zu vereinen scheint: Kristallklares Wasser, eine schmale Landzunge mit herrlichem Panoramablick zu beiden Seiten, die sich zum Ende hin anhebt und verbreitert und mit einer wunderbaren Altstadt versehen ist. Der Albtraum liegt darin, dass Sirmione zu erfolgreich ist: Tausende Touristen befahren die Landzunge; die Hotels, die zur Linken und zur Rechten liegen, ersticken fast in Abgasen, auf den Fußgängerwegen ist teils kein Durchkommen mehr.

Zum Glück haben die Behörden ein Einsehen und verwehren den Tagestouristen den Zugang zur Altstadt zumindest für den mobilen Untersatz – dieser muss draußen auf dem Sammelparkplatz bleiben. Wer allerdings innerhalb der Stadtmauern wohnt, sieht sich gezwungen, auf den engen Gässchen einen Straßenkampf mit den Fußgängern auszufechten – die Einheimischen etwas forscher, die Besucher zaghaft und mit Panik in den Augen. Quirlige Gässchen, Straßenmusik, Restaurants, Andenkenläden und Eisdielen perfektionieren das Italo-Feeling. Apropos Eisdielen: Die Portionen, die dort ausgegeben werden, sind kaum zu schaffen und ersetzen einen Mahlzeit.

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Auf langen Stegen ins Wasser liegen die Ausflügler und genießen bis in die Abendstunden hinein das warme Juniwetter, im warmen, schwefelhaltigen Thermalwasser, das aus den Quellen um den Inselkopf strömt, planschen Kinder und Erwachsene. Auch die alten Römer wussten das Thermalwasser und die tolle Lage zu schätzen: Am äußersten Nordrand der Insel, an deren höchster Erhebung, kann man heute noch die monumentalen Überreste der „Grotten des Catull“ besichtigen, welche eine riesige Fläche unterhöhlen und die heute teils von Olivenhainen bewachsen sind.

Übernachten auf der Halbinsel? Zu hektisch. Doch ein Glück: Es gibt sie tatsächlich, diese von Menschenhand geschaffenen Orte, die nahezu perfekt sind. Ein solcher liegt einige Kilometer südlich von Simione. Hier haben sich Roberto und Paolo ein kleines Hideaway geschaffen, das sie mit maximal zwölf Gästen in ihrem sechs Zimmer umfassenden Bed & Breakfast teilen.

Doremi lautet der Name des kleinen Anwesens, das die Besitzer vor etwa einem Jahr südlich von Sirmione eröffnet haben. Wer den Rückzugsort vom Alltag betritt, tut dies durch ein großes schmiedeeisernes Tor, das sich auf Eingabe der Zahlenkombination öffnet. Dahinter liegt ein Paradies, das nur einen klitzekleinen Haken hat: Es liegt nah an der Straße – und daher kann man die Autos im von hohen Bäumen und Blühpflanzen umgebenen Garten auch ein wenig hören. Ein kleines Manko, verglichen mit dem, was das Doremi zu bieten hat.

Das Konzept ist durchdacht: Im Herz der Anlage befindet sich der große Pool, schön geschwungen und so unmerklich, aber gewollt in zwei Zonen unterteilt. Darum gruppieren sich mediterrane Pflanzen, Sonnenliegen, Hängematten und -sessel. Ein lieblicher Blumenduft liegt in der Luft. Hier gibt es keinen Kampf um die Liege, denn es sind genauso viele da, wie das B & B Besucher aufnimmt. Ein Teil der Terrasse ist überdacht, geschwungen, elegant, offen, mit großzügigen Sitz- und Liegeflächen, streng im Farbkonzept Schwarz-Weiß gestaltet, mit liebevoll selbst designten Zierkissen mit dem glitzernden Stickwerk „Doremi“.

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Den Namen verdankt das Doremi der Musikleidenschaft seiner Besitzer. Roberto und Paolo spielen zwar nicht selbst, haben aber ihr Herz an die schönen Töne verloren, und das spiegelt sich auch in der Gestaltung der Räumlichkeiten. Im Frühstücksraum glänzt ein schwarzer Flügel, an den Wänden hängen Schallplatten und Gitarren, das „Bitte nicht stören“-Schild ist eine beschriebene CD. Edle Materialien, sorgfältig ausgewählte Dekorationsartikel, eine konsequente, bis ins letzte Detail durchdachte Stillinie überzeugen und machen den Aufenthalt zu etwas Besonderen.

Dazu gehört auch die Begrüßung durch Roberto, der zunächst Espresso und Pralinen serviert – Check-in ist da erstmal nebensächlich. Die Wahl zwischen dem Zimmer zur Poolseite und dem Zimmer zur Gartenseite fällt nicht leicht, doch eindeutig zugunsten des Gartens aus. Der Blick geht auf Hecken und Hügel, Verkehr ist hier kaum zu hören – die gut isolierten Türen und Fenster tun ein Übriges.

Die vier Zimmer gruppieren sich um den Frühstücksraum, eine Wendeltreppe führt hinab in einen Fitnessbereich, mit dem nicht einmal Top-Hotels mithalten können. Muskelfreunde und Ausdauerenthusiasten finden alles, was das Herz begeht, bis hin zu einer kleinen Sauna und einer gemauerten Dusch-Schnecke, das Ganze wird durch liebevolle Dekoration konsequent im Motto „Musik“ umrahmt.

Aber eigentlich will man lieber am Pool relaxen – oder darin. Geschwungen, mit gemauerten kleinen Tritten an mehreren Stellen im Becken, die einen Ausstieg ermöglichen, mit Wassermatratzen und wunderschönen blauen Mosaiksteinchen lädt er zum Erfrischen ein. Im Gebüsch neben dem Pool entdeckt der Gast zunächst einen halben Salatkopf – und dann eine Schildkröte, die den Besucher neugierig beäugt. Es gibt viel zu entdecken. So auch das Goldfischbecken mit den kapitalen Kois, die schmiedeeiserne Sitzecke, viele kleine Nischen, Sichtachsen, Durchblicke und Hingucker.

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Am Morgen erwartet Roberto die Gäste. „Breakfast?“, lautet die Frage. Ja! Gerne! Und was für eins. Das Büffet ist angerichtet – auf dem schwarzen Flügel, und es lockt wie die Musik. Keine ermüdende Auswahl an Produkten, sondern die kleine, feine und sehr persönliche Auswahl: je eine Sorte Käse und Wurst, ansprechend dekoriert unter einer gläsernen Glocke, hausgemachte Kuchen, Croissants, Brötchen, Butter und Marmelade, dazu frisches Obst, Kaffee aus der Presskanne – was will man mehr?

Vielleicht noch einen Tag länger bleiben. Oder wiederkommen. Denn das Doremi ist wirklich ein kleines, feines Paradies. (bb)

Vier Tage, drei Nächte: Einmal wohnen wie Sissi

16 Jun

IMG_9001Vier Tage, drei Nächte Italien – und jeden Tag an einem anderen Ort. Klingt nach Stress? Ist es aber nicht! Im Gegenteil. Die Kinder sind groß und hüten daheim das Haus und die Katze, man ist nicht mehr an die Schulferien gebunden, und die Lust, wieder einmal etwas spontaner zu reisen, ist groß. Ein Blick auf die Wetterkarte offenbart: Im Radius von 500 Kilometern ist das Wetter auch nicht besser. Und jetzt?

Ganz einfach: Man bucht spontan, für eine Nacht und ein Hotel mit Hallenbad und Wellnessbereich. Dann kann einem das Wetter eigentlich wurscht sein. Erste Station der Reise wird so das Grand Hotel Imperial am Lago di Levico im im oberitalienischen Trentino. Mit seinem großen Bruder, dem Lago di Caldonazzo, ist er der wärmste See Norditaliens, wärmer noch als der Gardasee.

Levico Terme, der beschauliche Kurort am gleichnamigen See, ist eine Reise wert – das Grand Hotel Imperial, direkt am riesigen Thermenpark gelegen, ebenfalls. Sich einmal wie Kaiserin Sissi fühlen – schwelgen in Schnörkeln und Kitsch, gediegene Dekadenz genießen: Ein Mädchen-Traum, für den auch noch ältere Semester anfällig sind. Selbst eher nüchtern veranlagte Damen fallen auf den Charme der KuK-Zeiten herein – wie auch die Verfasserin dieser Zeilen.

Perfektionisten sind fehl am Platz: Die weiß gestrichene Holzfensterbank im Bad wellt sich – vermutlich Folge vieler heißer Sommer, in denen die Sonne durchs Fenster brannte. Auch die Halterung der großzügigen Jacuzzi-Badewanne geht ein wenig aus dem Leim, und das Echtholzparkett in der Suite weist einige Kratzer auf. Wie gesagt: Perfektionisten finden sicherlich einiges zu mäkeln.

Wer über die winzigen Kleinigkeiten hinwegschaut und sich selbst verinnerlicht, dass ja auch der Mensch nicht perfekt ist, wird dies auch bei einem Hotel mit einem Augenzwinkern hinnehmen und genießen. Das Grand Hotel Imperial in Levico Terme lädt dazu ein, einmal Prinz und Prinzessin zu spielen, und die Kritiken sind gut. Angefangen beim Holzbau des Torhauses, das der Besucher passiert, die großzügige Zufahrt, das imposante Haus im Zuckerbäckerstil, perfekt abgerundet durch einen riesigen umgebenden Park samt Wasserfontäne, Rosenbüschen und Arkaden, die mit wildem Wein überwachsen sind – die Kulisse ist perfekt, bis hin zu dem weißen Maserati, der hinter einem Porsche vor dem Haupteingang parkt, um Gepäck zu verladen.

Erst im März wiedereröffnet, ist sich das Grand Hotel durchaus seiner Aufgabe bewusst, ein Stück (Film-) Geschichte zum Leben zu erwecken und die Illusion der adeligen Sommerfrische zur Jahrhundertwende um 1900 zu erschaffen. Der Besucher, der normalerweise eher touristisch orientierte Hotels aufsucht, ist beeindruckt. Überaus freundliches Empfangspersonal informiert, lächelt – und händigt einem den Zimmerschlüssel aus. Jawohl, in diesem Vier-Sterne-Haus gibt es noch echte Schlüssel mit schwerem Messing-Anhänger, keine Plastik-Chipkarte. Das gute Stück passt zur Tür Nummer 202 im zweiten Stock, zu der man allerdings recht neuzeitlich im modernen Lift gelangt, und hinter ihr verbirgt sich eine sogenannte Junior-Suite, auf deren generösen 30 Quadratmetern sich unter gewölbten, mit Lüftelmalerei verzierten Decken und Durchgangsbögen ein breites Holzbett, eine Chaiselounge, ein Schminktisch mit Marmorplatte, eine Sitzecke, ein Sekretär, mehrere Kommoden und Schränke zu einem harmonischen Ganzen verbinden. Drapierte Vorhänge verschönern die raumhohen Fenster, im Bad warten neben einem Waschbecken mit getrennten Warm- und Kaltwasserhähnen ein modernes WC, ein Bidet und – der Clou – eine Jacuzzi-Badewanne mit integrierter Duschkabine.

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Spätestens jetzt weiß der Gast: Er ist Kaiser Franz – oder dessen Gemahlin Sissi. Die Zimmer gruppieren sich um mehrere Gänge und ein Atrium, in dem ein Brunnen, riesige Grünpflanzen, Sitzgrüppchen und ein Glasdach für eine ganz besondere Atmosphäre sorgen. Auf jedem Stockwerk gibt es Aufenthaltsräume, eingedeckt mit Geschirr, Gläsern und teils mit Champagnerflaschen in riesigen Kühlern, dekoriert mit Bilder-Staffeleien und – als schönste Zier – dem Ausblick auf den Park und die mächtige Bergwelt der Dolomiten.

Leider hängen zum Zeitpunkt des Besuches dicke Regenwolken über dem Trentino, jenem Teil des italienischen Gebirges, der sich zwischen Südtirol und Gardasee befindet und der von den deutschen Touristen nur zu gerne quasi links liegengelassen wird. Schade eigentlich, denn mit dem Lago di Caldonazzo und seinem kleinen Bruder, dem Lago di Levico, verpassen die Durchreisenden zwei entzückende Gewässer, die dazu noch die wärmsten in ganz Norditalien sind. Nicht mal der Gardasee kann da mithalten.

Wer im Grand Hotel Imperial einbucht, den braucht der Regen allerdings nicht zu schrecken. Bei allem kaiserlichen Charma hat man daran gedacht, dass der Tourist 2016 Wert auf Wellness legt, und die wird auch angeboten. Dazu kommen ein großzügiges Hallenbad mit Whirlpool, beheizt auf mehr als 30 Grad, und eine Saunaabteilung für Verfrorene und Wanderrückkehrer. Draußen, unter den Regentropfen, warten einsame Terrassen vor dem Restaurant und am Pool auf Passanten. Saftiges Grün umgibt sie, Rosen in vielen Farben, Laubengänge, hohe Bäume – und ein Außenschwimmbad, das mehr als nur eine Pfütze zur Abkühlung ist. Mit nackten Füssen macht sich die geübte Schwimmerin durch den Regen im hauseigenen Bademantel auf den Weg über den geteerten Weg hinauf zum Wasserbecken – nass ist sie eh schon – und gleitet ins kühle Nass. Nebel hängt zwischen den Bäumen, zwischen den Wolken erkennt man schemenhaft das Gebirge, das bei sonnnigerem Wetter sicherlich eine imposante Naturkulisse bietet. Die Vögel singen trotzdem, die Blumen blühen. Einsam zieht man seine Runden, während der Regen noch eine Schippe drauflegt. Die Poolbar bleibt geschlossen… Nach einer Weile geht es zurück ins Hallenbad, wo wohlig warmes Wasser einen umfängt.

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Nach einer Nacht im großen Holzbett erwartet ein solides Frühstücksbüffet den Gast. Am Nebentisch sitzen zwei Motorradfahrer, die am Vorabend Schutz vor den Regenfällen gesucht und gefunden haben. Im Grand Hotel treffen sie sich eben alle: die Reichen, die Schnäppchenjäger, die Zufallstouristen…

Die Sonne hat Erbarmen und schiebt die Wolken beiseite. Es wird warm. Nach dem Auschecken aus dem Hotel ist dann doch noch ein Besuch am Lago di Levico fällig. Am öffentlichen Strand sonnen sich die ersten Muttis mit ihren kleinen Kindern, die vergnügt im Uferbereich planschen. Eine Horde Teenager erobert das Wasser, nicht ohne sich gegenseitig nasszuspritzen und dabei fröhlich zu kreischen. Die saftig grüne Liegewiese lädt zum Verweilen ein. Wer’s gerne noch komfortabler möchte, kann gegen Eintritt ins nebenan gelegene Strandbad, das dann auch einen Sprungturm bietet.

Doch Norditalien hat noch mehr zu bieten. Vor dem Checkout im Grand Hotel hat man noch schnell die Wettervorhersage eingeholt: Sonne bei 26 Grad. Damit ist klar: Es geht an den Gardasee, Richtung Sirmione. Was es dort zu sehen gibt? (bb) Fortsetzung folgt…

 

Die Übernachtung im Grand Hotel Imperial kostete für zwei Personen in der Junior-Suite inklusive Frühstück als Last-Minute-Angebot 71 Euro, also rund die Hälfte des regulären Preises. Gebucht wurde der Aufenthalt einen Tag vor der Anreise.

Christo küsst den Iseosee aus dem Dornröschenschlaf

13 Jun
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Der malerische Iseosee in Oberitalien.

Sulzano am Iseosee: Normalerweise ein verschlafener Ort in den Bergen Norditaliens mit knapp 2000 Einwohnern, der vom Tourismus noch nicht so richtig wachgeküsst wurde. Das sollte sich bald ändern: Ab kommendem Samstag werden hier die „Floating Piers“ eröffnet. Von Sulzano bis nach Peschiera Maraglio auf der Monte Isola, größte Insel in südeuropäischem Binnengewässer, und weiter zu ihrer kleinen Schwester San Paolo, die Privatbesitz der Beretta-Dynastie ist, reichen die schwimmenden Stege, die es den Besuchern ermöglichen sollen, den See zu Fuß zu überqueren. 

Schon bei der Fahrt in den Ort fragt man sich, wie Sulzano die erwartete Masse der Besucher verkraften soll. Stau an der Ampel, länger dauernde Suche nach einem Parkplatz. Dabei ist das Wetter eher regnerisch, also fehlen sogar die Schönwetter-Touristen. Der erste Weg führt zur Anlegestelle am Hafen. Helle Fliesbahnen liegen auf den Plätzen und Wegen im Hafenbereich. Sie weisen den Weg zum Beginn der Reise „trockenen Fußes“ über das Gewässer. 

„Trockenen Fußes“ ist allerdings nicht ganz der korrekte Ausdruck, denn es spritzt, wenn man über das Stoffgewebe geht. Die kürzlichen Regenfälle haben neben Nässe auch Schmutz mit sich gebracht. So wirkt die Verhüllung der Gehsteige leider nicht mehr ganz so majestätisch wie geplant. Überhaupt: Sollte der Stoff nicht sonnengelb sein? Noch eine Woche bis zur Eröffnung der „Floating Piers“ – ist das tatsächlich schon das Gewebe, das magisch in der Sonne glänzen soll? Nein – das weiße Gewebe soll den Stoff nur am Rutschen hindern, denn schließlich soll kein Besucher beim drei Kilometer langen Spaziergang über die „Floating Piers“ ein unfreiwilliges Bad im See nehmen.

Bislang ist also noch nichts zu sehen vom versprochenen Sonnengelb. Die hellen Wege führen durch ein kleines Gässchen bis zu einem Absperrgitter, hinter dem die „Floating Piers“ beginnen. Arbeiter nehmen letzte Verbesserungsarbeiten an dem Projekt vor, im Hintergrund gestikuliert ein Mann mit langen weißen Haaren, neben ihm steht ein anderer mit Videokamera samt Mikrofon, der ihm auf Schritt und Tritt folgt. Wie die Arbeiter sind beide in rote Jacken gekleidet, und erst, als der Ältere sich umdreht, haben die Neugierigen, die mit Smartphones und Kameras an den Absperrgittern hängen, Gewissheit: Es ist der Meister selbst, der hier Hand anlegt und sein Werk inspiziert. Schritt für Schritt entfernt sich der Verhüllungskünstler über den See, auf einem 16 Meter breiten Weg – zumindest von den Dimensionen her groß genug, um zwei Autos bequem aneinander vorbeifahren zu lassen. 

Autos muss der künstliche Weg übers Wasser zwar nicht tragen, aber sicherlich massenweise Besucher, die ab 18. Juni einfallen werden, um das nur bis Anfang Juli zu sehende temporäre Kunstwerk im Wasser zu erleben. Mit 40 000 Menschen täglich rechnet man, 40 000 Paar Beine, die auf den „Floating Piers“ übers Wasser wandeln wollen. Die Bedienung in der Hafenbar lacht nur dazu, rollt mit den Augen und meint gut gelaunt auf Italienisch: „Das wird ein Wahnsinn, wenn so viele Menschen hierher kommen!“ Sulzano, nein, der ganze See wird dann für gute zwei Wochen im Mittelpunkt stehen. 

Dabei hat der Lago d‘ Iseo viel mehr zu bieten als Verhüllungskunst – eine malerische Naturkulisse, ein Flair der Entschleunigung, wie es dem großen Bruder Gardasee ein Stück weit abhanden gekommen ist. Die Sonne schiebt sich hinter den Wolken hervor, lässt das Wasser zwischen den grünen Bergen glitzern und rückt die kleinen Touristenboote, die über den See pendeln, ins rechte Licht. Schon am 4. Juli wird der Rummel, der noch gar nicht richtig begonnen hat, wieder vorüber sein, die „Floating Piers“ sind dann nur noch ein Stück Geschichte auf schönen Bildern. Doch sicher wird der eine oder andere Besucher die Erinnerung an die schöne Landschaft und den eindrucksvollen See mitnehmen – und vielleicht wiederkommen. Auf dass Christos Projekt den Iseosee aus dem Dornröschenschlaf wachküsse. (bb)

 The Floating Piers

Sulzano, Lago d‘ Iseo 

18. Juni – 3. Juli 2016

Die Stege sind auch für Rollstuhlfahrer zugänglich 

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