
Der malerische Iseosee in Oberitalien.
Sulzano am Iseosee: Normalerweise ein verschlafener Ort in den Bergen Norditaliens mit knapp 2000 Einwohnern, der vom Tourismus noch nicht so richtig wachgeküsst wurde. Das sollte sich bald ändern: Ab kommendem Samstag werden hier die „Floating Piers“ eröffnet. Von Sulzano bis nach Peschiera Maraglio auf der Monte Isola, größte Insel in südeuropäischem Binnengewässer, und weiter zu ihrer kleinen Schwester San Paolo, die Privatbesitz der Beretta-Dynastie ist, reichen die schwimmenden Stege, die es den Besuchern ermöglichen sollen, den See zu Fuß zu überqueren.
Schon bei der Fahrt in den Ort fragt man sich, wie Sulzano die erwartete Masse der Besucher verkraften soll. Stau an der Ampel, länger dauernde Suche nach einem Parkplatz. Dabei ist das Wetter eher regnerisch, also fehlen sogar die Schönwetter-Touristen. Der erste Weg führt zur Anlegestelle am Hafen. Helle Fliesbahnen liegen auf den Plätzen und Wegen im Hafenbereich. Sie weisen den Weg zum Beginn der Reise „trockenen Fußes“ über das Gewässer.
„Trockenen Fußes“ ist allerdings nicht ganz der korrekte Ausdruck, denn es spritzt, wenn man über das Stoffgewebe geht. Die kürzlichen Regenfälle haben neben Nässe auch Schmutz mit sich gebracht. So wirkt die Verhüllung der Gehsteige leider nicht mehr ganz so majestätisch wie geplant. Überhaupt: Sollte der Stoff nicht sonnengelb sein? Noch eine Woche bis zur Eröffnung der „Floating Piers“ – ist das tatsächlich schon das Gewebe, das magisch in der Sonne glänzen soll? Nein – das weiße Gewebe soll den Stoff nur am Rutschen hindern, denn schließlich soll kein Besucher beim drei Kilometer langen Spaziergang über die „Floating Piers“ ein unfreiwilliges Bad im See nehmen.
Bislang ist also noch nichts zu sehen vom versprochenen Sonnengelb. Die hellen Wege führen durch ein kleines Gässchen bis zu einem Absperrgitter, hinter dem die „Floating Piers“ beginnen. Arbeiter nehmen letzte Verbesserungsarbeiten an dem Projekt vor, im Hintergrund gestikuliert ein Mann mit langen weißen Haaren, neben ihm steht ein anderer mit Videokamera samt Mikrofon, der ihm auf Schritt und Tritt folgt. Wie die Arbeiter sind beide in rote Jacken gekleidet, und erst, als der Ältere sich umdreht, haben die Neugierigen, die mit Smartphones und Kameras an den Absperrgittern hängen, Gewissheit: Es ist der Meister selbst, der hier Hand anlegt und sein Werk inspiziert. Schritt für Schritt entfernt sich der Verhüllungskünstler über den See, auf einem 16 Meter breiten Weg – zumindest von den Dimensionen her groß genug, um zwei Autos bequem aneinander vorbeifahren zu lassen.
Autos muss der künstliche Weg übers Wasser zwar nicht tragen, aber sicherlich massenweise Besucher, die ab 18. Juni einfallen werden, um das nur bis Anfang Juli zu sehende temporäre Kunstwerk im Wasser zu erleben. Mit 40 000 Menschen täglich rechnet man, 40 000 Paar Beine, die auf den „Floating Piers“ übers Wasser wandeln wollen. Die Bedienung in der Hafenbar lacht nur dazu, rollt mit den Augen und meint gut gelaunt auf Italienisch: „Das wird ein Wahnsinn, wenn so viele Menschen hierher kommen!“ Sulzano, nein, der ganze See wird dann für gute zwei Wochen im Mittelpunkt stehen.
Dabei hat der Lago d‘ Iseo viel mehr zu bieten als Verhüllungskunst – eine malerische Naturkulisse, ein Flair der Entschleunigung, wie es dem großen Bruder Gardasee ein Stück weit abhanden gekommen ist. Die Sonne schiebt sich hinter den Wolken hervor, lässt das Wasser zwischen den grünen Bergen glitzern und rückt die kleinen Touristenboote, die über den See pendeln, ins rechte Licht. Schon am 4. Juli wird der Rummel, der noch gar nicht richtig begonnen hat, wieder vorüber sein, die „Floating Piers“ sind dann nur noch ein Stück Geschichte auf schönen Bildern. Doch sicher wird der eine oder andere Besucher die Erinnerung an die schöne Landschaft und den eindrucksvollen See mitnehmen – und vielleicht wiederkommen. Auf dass Christos Projekt den Iseosee aus dem Dornröschenschlaf wachküsse. (bb)
The Floating Piers
Sulzano, Lago d‘ Iseo
18. Juni – 3. Juli 2016
Die Stege sind auch für Rollstuhlfahrer zugänglich
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