2018 – BELFAST – „Woher kommt Ihr“, will der Taxifahrer am Flughafen wissen. Deutschland? Super – „You will like the City!“ Die Belfaster seien freundlich zu fast jedem – außer zu den Engländern. Auch im zwanzigsten Jahr nach Ende des Bürgerkriegs sind die Gräben noch tief, die jahrzehntelange Feindschaft ins Land gezogen haben.
Wer nicht an der Oberfläche kratzt, kann sich jedoch unbeschwert durch die Stadt bewegen. Belfast beherrscht die Kunst, offensiv mit der eigenen blutigen Vergangenheit umzugehen: Zahlreiche Anbieter führen Touren zu den Brennpunkten der Stadt an. Shankhill, Falls, Sandy Row… Wandgemälde zeugen von altem Hass und Gewalt – und sind zugleich wunderschön. Offiziell sind die „Troubles“, die ab Ende der 60er-Jahre die Stadt zeichneten, vorbei. Doch Liebe ist aus dem Waffenstillstand zwischen Loyalisten und Republikanern noch lange nicht erwachsen.
Zwei Welten – eine Stadt
So wie die politischen Gräben verlaufen auch die Unterschiede zwischen Arm und Reich, zwischen sorgloser Touristen-Tour und dem Kampf ums tägliche Überleben: Neben dem schicken Einkaufscenter am Victoria Square sitzt eine Jugendliche an die Mauer eines Hauses gekauert. Schmuddlige Kleidung, verlorener Blick. Eine Ausreißerin, auf der Suche nach einem besseren Leben in der großen Stadt? Nebenan shoppen die, deren Portemonnaie voll ist, sorglos schicke Kleidung, drücken sich übergewichtige Mädchen in schlecht sitzenden Leggins in Fastfood-Tempel, wo Burger nach amerikanischer Art angepriesen werden.
Protestanten und Katholiken, Arm und Reich, Sonne und Regen: Welcome to Belfast. Es ist eine Stadt zwischen viktorianischem Charme und irischer Gelassenheit. Ein idealer Ort für eine Städtereise für alle, denen London zu groß ist und die sich trotzdem nicht langweilen wollen. Das gelingt Nordirlands Hauptstadt spielend.
„Docklands“ und Titanic-Feeling
Hier wurde das wohl berühmteste Passagierschiff aller Zeiten gebaut – großer Jubel, große Katastrophe. Als der Frieden auf Belfasts Straßen einkehrte, begann die Stadt, touristische Konzepte zu entwickeln. Was lag näher, als den immer wiederkehrenden Hype um die 1912 gesunkene Titanic ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken?
Zum 100. Jahrtag der Katastrophe wurde 2012 ein modernes, interaktives Museum an den Docks errichtet, das seither Besucher aus aller Welt anzieht. Wer sich Zeit lässt, kann hier nicht nur etwas über das Schiff und seine Geschichte erfahren, sondern auch über die Entwicklung der nordirischen Hauptstadt, die einst Zentrum der Flachsverarbeitung war. Einen Spaziergang entfernt liegen das Pumphaus und Titanic-Dock, das einen Eindruck von der Größe des Schiffs vermittelt.
Direkt hinter dem Museum liegt der zweite Besuchermagnet Belfasts: In den Titanic-Studios wird das Fantasy-Epos „Game of Thrones“ gedreht. Längst bieten zahlreiche Anbieter Touren zu den Drehorten an, die in ganz Nordirland verstreut liegen. Das Konzept geht auf: Bis aus Nordamerika, Asien oder Australien reisen „Thronies“ an, um einmal das Schwert zu schwingen wie ihre Helden, um dort zu stehen, wo die Schauspieler ihre kunstblutigen Kämpfe ausfechten. Atemberaubende Landschaften, malerische Höhlen, Schlösser und Bäume liefern den Beweis, dass es für die Serie keine schönere Kulisse geben könnte als den rauen Nordzipfel der irischen Insel (siehe extra Artikel).

Bekannteste Produktion aus den „Titanic Studios“ in Belfast dürfte das Fantasy-Epos „Game of Thrones“ sein, dessen finale Staffel derzeit dort produziert wird.
Belfast hat für alle etwas zu bieten: für Frühaufsteher, für Nachtschwärmer, für Kunstbeflissene, für Menschen, die sich einfach nur durch die Stadt treiben lassen wollen.
Zeitgeschichte spannend erzählt
Und sollte das Wetter einmal nicht so gut sein (was in Nordirland eher die Regel als die Ausnahme sein könnte), drängt sich ein Besuch im Ulster-Museum geradezu auf: Eintritt frei! Auf mehreren, verschachtelt angeordneten Stockwerken kann man hier der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Belfasts und Nordirlands nachspüren – und darüber hinaus. Das reicht von riesigen Saurierskeletten über eine echte ägyptische Mumie, Kunst und ausgestopfte Tiere bis hin zum rund 77 Meter langen Wandteppich, der die Geschichte des Fantasy-Epos „Game of Thrones“ in handgewebten Bildern erzählt.
Beeindruckend ist die Abteilung, die sich mit den „Troubles“ beschäftigt und anhand von Einzelschicksalen das ganze Elend des Bürgerkriegs verdeutlicht und persönlich macht. Wer die Ausstellung in Ruhe erkundet, versteht, warum es noch viele Jahre dauern wird, bis die Menschen in diesem Land die blutigen Zeiten verarbeitet haben werden. Das Museum liegt im Botanischen Garten der Stadt und ist umgeben von blühenden Gartenanlagen.
Quasi in direkter Nachbarschaft liegt das „Palm House“, in dessen tropischen Temperaturen exotische Pflanzen gedeihen und schon im frühen April Narzissen, Osterglocken und weitere Frühlingsblumen einen betörenden Duft verströmen. „Mummy, it smells so good“, ruft denn auch ein kleines Mädchen beim Betreten des imposanten Baus. Erst im April nach einer gründlichen Renovierung wiedereröffnet hat die „Tropische Schlucht“ („Tropical Ravine“), ein Gebäude, unterteilt in eine tropische und eine subtropische Zone. Hier gibt es einen Wasserfall, man kann probeschnuppern an Gefäßen mit Kakao oder Kaffee – ein Fest für Kinder und Erwachsene gleichermaßen. Bei Sonnenschein laden Parkbänke und Rasenflächen in der Gartenanlage zum Spazierengehen und Verweilen ein,
und mit etwas Glück bekommt man die grauen Eichhörnchen zu Gesicht, die an den großen alten Bäumen auf- und abflitzen.
Unterwegs im „London Cab“
In Belfast gibt es keine U- oder S-Bahn. Dafür ist das Busnetz sehr gut ausgebaut, allerdings muss man meist umsteigen, wenn man in ein anderes Stadtviertel will. Wer Zeit hat, geht zu Fuß – und wer’s bequem will, leistet sich eine Fahrt mit einem der rund 1000 Taxis in der Stadt. Entweder man bestellt sich telefonisch eins bei einer der größeren Gesellschaften („Value Cabs“/“Fonacab“), oder man steigt in eins der an mehreren Stellen in der Stadt geparkten „London Cabs“, die berühmten schwarzen City-Taxis aus der britischen Hauptstadt, die während der „Troubles“ dafür sorgten, dass der öffentliche Verkehr in Belfast überhaupt aufrecht erhalten werden konnte. Mittlerweile sind einige dieser Autos in bunten Farben bemalt, sodass sie sich vom englischen Vorbild quasi emanzipiert haben. Taxifahren ist günstig, vor allem, wenn sich vier oder fünf Personen eins teilen (für umgerechnet rund zehn Euro kommt man meist durch die Stadt) und macht Spaß, denn die Fahrer sind auskunftsfreudig und geben gerne auch gute Tipps, was man unternehmen kann.
Pub-Besuch ist fast schon Pflicht
Das betrifft auch die Abendgestaltung. „Go to Kelly’s Cellars„, empfiehlt ein gut gelaunter alter Ire und verspricht Livemusik und tolle Atmosphäre. Der Pub, einer der ältesten in Belfast, hält das Versprochene. Von außen unspektakulär in der Nachbarschaft des modernen „Castle Court“-Einkaufscenters gelegen, entpuppt er sich im Innern als urige Location mit schweren dunklen Holztischen und einer Decken-Deko aus Pfannen und Töpfen. Dazu gibt’s irische Folkmusik, wahlweise aus Lautsprechern oder live, je nach dem Zeitpunkt des Besuchs.
Ebenfalls einen Abstecher wert ist der „Crown Liquor Saloon“ in der Nähe der Großen Oper. Dieser Pub erstrahlt nach einer Renovierung durch den „National Trust“ in den 80er-Jahren in neuem viktorianischen Glanz. Hier gibt es sogenannte „Snugs“, abgetrennte Sitzabteile, in die man sich zurückziehen kann.
Belfast blüht auf, und die Stadt – nein, ganz Nordirland – hat es verdient. Die Zeiger sind in Richtung Zukunft gerichtet, die Touristen kommen, und sie dürften nicht enttäuscht sein. Nun fehlt nur noch eine bessere Anbindung durch Direktflüge aus Deutschland. Hier fehlt es noch; die Anreise muss entweder mittels Umsteigeverbindung über Großbritannien oder Amsterdam erfolgen oder via Flug nach Dublin, von wo aus es dann mit Bus, Bahn oder Leihwagen weiter geht. Wer dies in Kauf nimmt, wird belohnt mit einer unverbrauchten, Besuchern offen stehenden Stadt. (bb)