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Fietsen in den Niederlanden

14 Jun

Unsere Gastautorin Gisela Goblirsch-Bürkert war mit dem Fahrrad in Holland unterwegs. Ihre Erkenntnis: Um es mit Obelix zu sagen: „Wie ist Holland?“ – „Flach!“ Es ist also ideal für ungeübte Radler. Und es ist leicht zu erreichen. Also wenn schon Holland – dann wenigstens mit den Rädern.

Erste Etappe: Weesp

Liegt an der Vecht etwas südöstlich von Amsterdam. Also eine gute Ausgangsposition für alle Formen der Betätigung. Hotel an der Gracht. Viel Wasser, zwei Zugbrücken, einen Haufen Skipper auf zum Teil beachtlichen Kähnen mit und ohne Rädern an Bord, samt Hund und Sonnenschirm, Liegestuhl und Shorts. Sie gleiten, brummen, durch die Gracht dem Kanal entgegen, der sie nach Süden befördert. Vielleicht auch wollen sie auf die Vecht. Jedenfalls ist ihre Menge dazu geeignet, sich bewusst zu machen, dass die Niederlande das am dichtesten besiedelte Gebiet Europas ist. Am Ende des Kanals erhebt sich – wie einer der „dreibeinigen Herrscher“ – eine Windmühle, die das Leben zu ihrem Sockel beobachtet. Auch und vor allem die Radler (Fietser), die sich auf Fiets, Bromfiets, Snoorfiets oder Bakfiets bewegen. Die Bromfiets hört man wenigstens, während sich die anderen Fietser unhörbar heranschleichen und windschnell am überraschten Fußgänger vorbeiflitzen. Überhaupt: wer kein Fiets hat, fühlt sich irgendwie amputiert in den Niederlanden, wo alles – aber auch alles – auf die Fietser eingestellt ist.

Wenn die Fiets nicht bewegt werden, rotten sie sich in Horden zusammen und verstopfen Hauseingänge, Brückengeländer, Alleebäume – einfach jeden Zentimeter, der ihnen eine Chance gibt, angeleint zu werden. Denn ohne Leine (meist total rostige Ketten, die jeder mittelalterlichen Folterkammer genügen würden) geht nix in Holland. Man kann (gerade in Amsterdam) problemlos von der Menge an Fiets auf die Bevölkerung hochrechnen.

Die ersten Tage sind von wenigen Kilometern geprägt. Mehr als 30-40 gehen nicht. Dann streiken Beine Hüfte und Po. Das gibt sich aber glücklicherweise nach ein paar Tagen und wir schaffen doch immer zwischen 50-60 km an einem Nachmittag (früher kommen wir kaum weg). Die Landschaft zwischen Vecht und Hilversum/Amersfoort besticht durch Schlösser und riesige Villen (vor allem um Loosdrecht), tausende von Wassergräben, kleinen Flussläufen, viel Wiese und geniale Radwege. Rund um die künstlichen Lande (hier wird immer noch viel Land gewonnen, indem man das Wasser kanalisiert, vertreibt und Sand aufschüttet) sind Alleen angelegt und Deiche, die zwischen den Gewässern verlaufen. Sie bilden baumgesäumte Fietspads auf denen sich Mückenschwärme überfallartig auf die Radler stürzen. Sogar Windmühlen gibt es – und damit meine ich die historischen, die vielfach nur der Optik wegen noch Bestand haben. Jedenfalls ist der generelle Blick geprägt von: Wassergraben, Wiese, Kühe, Schafe, Bauernhaus, Windmühle und darüber – alles überragend und alles bestimmend – Windkraftanlagen. Sehen echt hübsch aus und machen viel weniger Lärm, als unsere Bürgerinitiativen immer befürchten. Ein leichtes Schnorren oder Surren vielleicht – nicht mehr als ein Snoorfiet oder ein Bromfiet.


Amsterdam
ist unbedingt mit Rad zu bereisen. Zu Fuß latscht man sich einen Wolf! Außerdem kommt man viel leichter vorwärts und ist nicht halb so gefährdet wie als Autofahrer oder Fußgänger. In Amsterdam liegen Rotlicht,- Kommerz- und Laisser-Faire-Viertel direkt nebeneinander. Und während sich im Rotlichtviertel die Damen an den hohen Fenstertüren präsentieren, sitzen die sonnenhungrigen Altstudentinnen mit ihrem Klappstuhl und einem Glas Wein lässig vor der eigenen Haustüre direkt auf dem Bürgersteig (den sowieso nur die Touristen nutzen – alle anderen fahren ja Rad). Es gibt einen Haufen Cafés – und das Tulpenmuseum (echt wahr, da lernt man, dass Tulpe von Turban kommt und die Blume nur durch die Türken nach Europa kam. Außerdem widmet sich das Museum der „Tulpen-Blase“ einer frühen Form kapitalistischen Börsencrashs. Da wurde gewettet, wie die Blüte aussieht, die aus der Knolle kommt. Menschen setzten ganze Häuser und ihr ganzes Vermögen auf Tulpenzwiebeln. Der Preis stieg, bis schließlich an einem denkwürdigen Freitag plötzlich kein einziger Käufer mehr auf dem Tulpenmarkt erschien und damit der Preis für die Blumen ins Unendliche abstürzte.) Und es gibt ein Käsemuseum, das wir aufgrund olfaktorischer Empfindungen doch lieber nicht besuchen. (Man muss nicht alles sehen).

Zurück in die Provinz, zu Windmühlen und Radwegen. Südlich von Hilversum erstreckt sich ein riesiges Waldgebiet, das es in sich hat. Auf wenigen Höhenmetern kommt man in eine zauberhafte, karge „Gebirgslandschaft“ mit Ginsterbüschen und Heidekraut. Moor und Sandkuhlen, sturmzerzausten Baumstümpfen … Man hat das Gefühl, als stünde man oberhalb der Baumgrenze oder zumindest auf dem Hochplateau des Massif Central in Frankreich. Im dichten Wald rundum begegnen sich nicht nur tapfere Radler, sondern auch Pferde (zum Teil mit fußläufigen – wohl ehemaligen – Reitern). Hier in der „Vuursche“ hat sich das niederländische Prinzenpaar hoch zu Roß vergnügt, bis Regierungsgeschäfte riefen. Jetzt ist das königliche Jagdschloss zwar noch eingezäunt und bewacht wie Fort Knox, aber auch genauso verlassen. Nur die Hochnäsigkeit der Bedienungen im überteuerten Grand Restaurant hat noch etwas verblichenen Königsodeur.

Langsam zeigen sich die ersten Muskeln und auch ein winziges Zipfelchen Meer. Schwarz und bedrohlich liegt es am Horizont. Es ist das Eemmeer (ein Wurmfortsatz des Gooimeeres). Und daher weht denn auch der Wind. Er tut es gerne und mit Vorsatz. Immer von vorne. Egal wie man fährt. Das muss eine seltsame meteorologische Besonderheit dieses Landes sein.

 

Zweite Etappe: Bergen aan Zee

Urlaub pur. Sonst nix. Riesige Dünen begrenzen Holland Richtung Nordsee. Und diese Dünen haben es in sich! Sie sind bergig (naja, ein bisschen) und sandig und durchzogen von Fietspads und Wanderwegen und es gibt sogar eine ausgiebige Mountainbike-Strecke. Zum Meer hin flachen die Dünen mit einem unendlichen Sandstrand ab. Tausende von Menschen verbringen die Sonnentage über Pfingsten hier am Strand. Blau-weiße Umkleidekabinen stehen wie Zinnsoldaten am Dünenfuß. Davor gibt es rote Sonnensegel und gelbe Schirme und einen Flickenteppich aus Badetüchern. Familien mit Kind und Kegel möblieren ihr Stückchen Sand mit allem, was in Tüten anzuschleppen ist und es sitzen Kinder aller Altergruppen (3–80 Jahre) im Sand und bauen Burgen, leiten Wassergräben um, buddeln sich ein und wieder aus und lassen die Kassen der Strandbars klingeln. Bis ziemlich genau 19 Uhr. Dann kommen die Hundebesitzer und die Strandfietser und alle, die sich vorher nicht ins Wasser getraut haben. Drei Tage lang. Danach aber ist wieder Ruhe und es reihen sich nur noch die verlassenen Umkleidekabinen brav aneinander und bewachen die Dünen, damit sie nicht in Richtung Meer abhauen, wenn keiner hinsieht.

Die Dünen kann man gut befietsen. Auch das Hinterland hat dem verrückten Radler einiges zu bieten. Besonders Alkmaar und Hoorn, wo wir und austoben. In Alkmaar steht eine Waage, zu der pünktlich jeden ersten Freitag im Monat ein Touristenspektakel (Käsemarkt) abgehalten wird. Leider versäumt. Kann man nix machen. Obwohl es soo schön sein soll… In der Fußgängerzone haben sich Zara, Deichmann und Swarovski und was sonst noch an Internationalität da ist, ausgebreitet. Aber in den kleineren Gassen hinter den Hauptgrachten findet man (naja – neben dem Rotlichtviertel) noch kleinere Geschäfte mit seltsamen Angeboten, Kunstprojekte und einiges, was dem Kommerz noch die Stirn bietet. Auf dem Rückweg (es ist Pfingstmontag) sehen wir, dass in den kleineren Orten der Bär steppt. Weit über die Wassergräben und Kanäle hört man Volksfestmusik (ja – auch nix anderes, als das, was bei uns zu solchen Gelegenheiten gehört wird). Die Festzelte sind direkt am Wasser aufgeschlagen und sobald man dran vorbei ist, ist auch der Lärm weg. (Da merkt man dann doch, dass es vorher Gegenwind gegeben hat.)

Hier im Nordwesten sind die Höfe größer, die Scheunen und Ställe riesig. Reedgedeckte Bauernhöfe mit einem Haufen Vieh, Kühen und Schafen und Katzen bevölkern die Landschaft. Tulpenbeete tauchen auf. Das touristische des Gebiets an der Vecht ist wie weggeblasen. Hier ist nichts pittoresk – hier wird Geld gemacht. (Aber irgendwoher muss der Käse ja kommen). Ein besonderes Erlebnis ist das Befahren des 25 km langen Dammes, der das IJmeer vom Markermeer trennt. Zwar ist der Damm nicht so spektakulär wie der große Abschlussdamm am Nordende Hollands. (Er wurde 1936 fertiggestellt und machte aus der rauen Nordsee eine harmlose Binnensee, um den Amsterdamer Hafen und die neu angelegten Polderflächen zu schützen.) Allein – dieser Damm reichte nicht aus. Die See war immer noch zu rau. Also halbierten die Holländer das Meer ein zweites mal und schufen den Damm zwischen Enkhuizen und dem Festland. Um es mit Obelix zu sagen: „Die spinnen die Holländer“. Wir spinnen aber nicht und haben den Damm natürlich per Auto befahren. Es gibt einen Radlweg, aber nur total Bekloppte setzen sich 25 km lang den Winden aus. Am letzten Tag regnet es. Es schüttet. Aber erst, als wir vom Radeln zurückkommen. Glück gehabt. Muss auch mal sein! So haben wir wenigstens einen wirklichen totalen Nichtstu-Tag und ich kann ausgiebig das städteplanerische Ergebnis des künstlichen Küstenortes Bergen aan Zee bewundern. Hat was – in gewisser Weise.

Die Zeichnungen/Bilder unterliegen dem Copyright der Autorin – dürfen also ohne Genehmigung nicht verwendet werden.

Weitere Informationen zum Radfahren in Holland
Link zum Tulpenmuseum in Amsterdam

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